Welche Herausforderungen die Airline-Industrie jetzt erwarten
Turbulenzen
voraus
Fluggesellschaften leiden unter geopolitische Risiken, höheren Steuern und Nachhaltigkeits-Kosten
Von Gesche Wüpper, Paris
wü Paris
Ausgebuchte Maschinen und eine Rekord-Nachfrage im September zum Ende der Hauptreisesaison im Sommer: Die weltweite Airline-Industrie hofft, 2024 von Passagierzahlen, Umsätzen und Ergebnissen her die im Vorkrisenjahr 2019 erzielten Höchststände zu übertreffen. Und doch sorgen sich europäische Fluggesellschaften wegen steigenden Kosten um ihre Wettbewerbsfähigkeit. In den nächsten Monaten erwarten sie eine Reihe neuer Herausforderungen, von geopolitischen Spannungen über höhere Steuern bis zu den Folgen des Klimawandels.
„Bereiten Sie sich auf ein neues Jahr geopolitischer Instabilität vor“, riet Chief Intelligence Officer Henry Wilkinson von der britischen Beratungsfirma Dragonfly den Teilnehmern der von dem Branchenverband IATA (International Air Transport Association) gerade in Rom veranstalteten Konferenz Wings of Change Europe (WOCE). Eine Intensivierung der Kriege in der Ukraine und im Gaza-Streifen sowie Angriffe auf den Iran gehören zu den größten Risiken. Europäische Fluggesellschaften bekommen bereits jetzt die Folgen der beiden Konflikte zu spüren.
Nadelöhr im Südosten Europas
„Seit dem Krieg in der Ukraine stehen in Europa 20% weniger Luftraum zur Verfügung“, erklärte Arndt Schoenemann, der Chef der Deutschen Flugsicherung DFS. Airlines aus Europa haben Flüge von und nach Russland eingestellt. Sie müssen zudem im Gegensatz zu chinesischen Konkurrenten auf dem Weg nach Asien wegen des von Moskau verhängten Überflugverbots den russischen Luftraum umfliegen, so dass sich nach Angaben Schoenemanns im Südosten Europas ein Nadelöhr gebildet hat. Wegen dem Gaza-Konflikt haben viele europäische Fluggesellschaften auch die Flugverbindungen in den Nahen Osten eingeschränkt.
Zudem haben seit dem Ukraine-Krieg militärische Flugbewegungen in Europa zugenommen. Gleichzeitig hat sich die Priorität der Europäischen Union (EU) bei den Ausgaben vom Klimaschutz zur Verteidigung verlagert. Deshalb könnte sich möglicherweise die Finanzierung des Air Traffic Managements in Zukunft verändern, meint DFS-Chef Schoenemann. Dabei besteht gerade in dem Bereich Handlungsbedarf. Denn der lange erhoffte einheitliche europäische Luftraum, der Single European Sky, macht nur stockende Fortschritte. Teure Umwege, Verspätungen und damit einhergehende höhere Schadstoffemissionen sind die Folge.
Die Ausweitung der Konflikte lässt auch die Bedrohung der Branche durch die Kriegsführung in Grauzonen mit Hilfe von Cyberangriffen, Fake News, Sabotageakten und der Instrumentalisierung von Migrationsströmen steigen. Europa sei im Fokus dieses Schattenkrieges, warnt Henry Wilkinson von Dragonfly. „Die Zivilluftfahrt ist sehr anfällig gegenüber diesen Bedrohungen." Das gelte vor allem für Cyberrisiken.
Folgen von Trumps Wiederwahl
Wilkinson und andere Experten fragen sich nun, wie sich die Wiederwahl von Donald Trump auf die Luftfahrtbranche auswirken wird. Immerhin hat Trump während seiner ersten Amtszeit als US-Präsident europäische Flugzeugteile mit Strafzöllen belegt. Schwierige Verschiebungen in den Beziehungen zwischen Europa und den USA seien zu erwarten, meint Wilkinson. Neue Strafzölle, der Amerika First-Ansatz, die Reduzierung von militärischen Hilfen für die Ukraine und der Unterstützung der Nato könnten zu Spannungen führen.
IATA-Chef Willie Walsh gab auf der WOCE-Konferenz in Rom jetzt zwar zu, dass noch unklar sei, wie sich Trumps Wiederwahl auf das politische Klima und die gesamte Luftfahrtbranche auswirken werde. Doch er teilt die Erwartungen amerikanischer Fluggesellschaften, dass die neue Amtszeit Trumps „net positiv" für die Airline-Industrie sein dürfte. Er habe nach der Wahl bereits mit einigen US-Fluggesellschaften gesprochen, berichtete Walsh. Sie würden sich noch daran erinnern, dass Trump die Industrie während der Covid-Pandemie unterstützt habe. Das zeige ihrer Ansicht nach, dass er ihre Bedeutung für die amerikanische Wirtschaft erkannt habe. Deshalb erwarten sie, dass seine Regierung bei der Regulierung weniger restriktiv sei als die Bidens.
Notwendige Konsolidierung
Weniger Restriktionen wünschen sich auch europäische Fluggesellschaften. „Mit all der Überregulierung ist Europa weniger wettbewerbsfähig“, sagt Walsh. Der Chef der IATA, die die Interessen von 330 Fluggesellschaften weltweit vertritt, hofft deshalb, dass die Empfehlungen des Draghi-Reports tatsächlich umgesetzt werden. Dann wäre möglicherweise auch die Übernahmen von ITA Airways durch Lufthansa einfacher umzusetzen gewesen. Sie ist von der EU-Kommission nur gegen Auflagen genehmigt worden.
„Ich bin überzeugt, dass Konsolidierung notwendig ist. Der europäische Markt für Fluggesellschaften ist zu fragmentiert“, erklärt Walsh. „Wettbewerb verschwindet, wenn Konsolidierungen nicht erlaubt werden." Der Blick auf Spirit Airlines zeige, was passiere, wenn Konsolidierung verhindert werde. Die Billigfluggesellschaft musste Gläubigerschutz beantragen, nachdem die US-Justiz einen Zusammenschluss mit Jet Blue verboten hat.
Die Überzeugung, dass Konsolidierung notwendig sei, habe er während seiner früheren Karriere gewonnen, erklärt Walsh. Er stand bis 2020 selber an der Spitze mehrerer Fluggesellschaften und war zuletzt Chef der British Airways-Mutter IAG. Die Übernahme von ITA durch Lufthansa sei sinnvoll, findet er. Für Verbraucher stelle eine Konsolidierung kein Risiko dar.
Steuern gefährden Auslastungsraten
Der Branchenverband appellierte in Rom auch an die EU, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Airlines nicht durch weitere Steuererhöhungen zu schwächen. Nachdem Deutschland die Luftverkehrssteuer auf Flugtickets im Mai um 20% erhöht hat, wollen weitere Länder in Europa wie Frankreich und Norwegen folgen. „Höhere Steuern werden die Leute nicht davon abhalten zu fliegen", ist Walsh überzeugt. „Aber die Flugzeuge werden nicht mehr so ausgelastet sein wie jetzt, da sich viele Menschen die teureren Flüge nicht mehr leisten können.“
Statt Auslastungsraten von zuletzt 83% dürften die Flugzeuge deutlich weniger besetzt sein, wie vor 20, 30 Jahren. Statt die CO2-Ausstoß zu senken, würden Steuererhöhungen einen großen sozioökonomischen Schaden anrichten, argumentiert der IATA-Chef. „Wir brauchen praktische Lösungen wie die Wiederbelebung des European Single Sky-Projektes, das die Emissionen von heute auf morgen um 10% senken könnte“, meint er. Auch wären zusätzliche Anreize notwendig, um die Produktion von alternativen nachhaltign SAF-Treibstoffen (Sustainable Aviation Fuel) zu steigern.
Riesiger Investitionsbedarf für SAF-Produktion
Denn noch steht nicht genügend SAF zur Verfügung, um die geplanten EU-Vorgaben decken zu können. Die Europäische Union (EU) will bereits ab nächstem Jahr verbindliche Quoten für SAF einführen. So müssen für die Betankung von Flugzeugen an Flughäfen in der EU dann 2% davon beigemischt werden, bis 2030 dann 5%. In den Jahren danach soll der Anteil graduell weitersteigen, bis auf 63% im Jahr 2050. Um diese Vorgaben zu erreichen, wären 2030 nach Angaben der Europäischen Agentur für Flugsicherheit EASA 2,3 Millionen Tonnen notwendig. Zum Vergleich: Letztes Jahr wurden gerade mal 600 Millionen Liter SAF produziert.
Die IATA selber beziffert den Bedarf an neuen SAF-Produktionsstätten auf 3.096 bis 6.658, um das eigene Ziel, bis 2050 CO2-neutral zu werden, erreichen zu können. Das wiederum würde bis dahin einen Investitionsaufwand von jährlich 128 Mrd. Dollar erfordern. Der Investitionsaufwand wird nächstes Jahr auf 2 Mrd. Euro geschätzt, bevor er 2027 auf 10 Mrd. Dollar steigt und dann 2048 sogar auf 576 Mrd. Dollar hochschnellt. Die Finanzierungen seien schwierig, sagt Hemant Minstry, der bei der IATA Direktor für die Net Zero Transition ist.
Schwierige Finanzierung von SAF-Projekten
Das kann Christoph Falter, der Strategiechef von Synhelion, nur bestätigen. Das Schweizer Startup hat im Juni in Jülich bei Aachen die erste industrielle Produktionsstätte der Welt eingeweiht, in der synthetische Treibstoffe mit Hilfe von Solarwärme produziert werden. Trotz dieses Demonstrationsprojektes sei es noch immer schwierig, Gelder aufzutreiben, berichtet Falter. Generell seien viele SAF-Projekte nicht bankfähig, meint er.
Nachhaltigkeit verteuert Tickets
Für Airlines wiederum bedeutet der Wandel hin zum klimaneutralen Fliegen nach Angaben der IATA bis 2050 zusätzliche Kosten in Höhe von 4,7 Bill. Dollar. In die Berechnung hat der Branchenverband nicht nur die Kosten für SAF, sondern auch die für das CO2-Kompensationssystem Corsia (Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation) der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation ICAO, für Wasserkraftstoff für Flugzeuge und Kohlenstoffabbau mit einbezogen. Insgesamt würden sich die Treibstoffkosten der Fluggesellschaften dadurch bis 2050 verdoppeln, so die IATA.
SAF ist noch immer deutlich teurer als normales Kerosin. Im Schnitt kostet es drei bis fünf mal so viel. „Fliegen wird wegen den Nachhaltigkeitsbemühungen teurer werden, weil SAF und neue Technologien mehr kosten“, sagt IATA-Chef Walsh. „Die Leute müssen ihre Augen öffnen, dass Verbraucher die Kosten für SAF zahlen müssen." Die Airline-Industrie könne die Kosten für nachhaltige Treibstoffe jedenfalls nicht absorbieren.