Wenn Bratwürste und Lebkuchen zum Politikum werden
Notiert in Brüssel
Bratwurst wird zum Politikum
Von Stefan Reccius
Bei Rostbratwürsten und Lebkuchen hört der Spaß auf. Hersteller dieser kulinarischen Kulturgüter aus Nürnberg sind in heller Aufregung, seit sie von einer Reform der Herkunftsbezeichnungen in der EU Wind bekommen haben. Eigentlich sollen die sie vor Nachahmern schützen, was die Hersteller sehr schätzen. Doch sie befürchten, bald sämtliche Zutaten und deren Herkunft offenlegen zu müssen.
Die Rezeptur für Nürnberger Bratwürste ist seit 2003 "geografisch geschützte Angabe" in der Europäischen Union, Nürnberger Lebkuchen seit 1996. Europaweit haben inzwischen rund 3.500 Lebensmittel und landwirtschaftliche Erzeugnisse, Weine und Spirituosen mit einem geschätzten Marktwert von 74 Mrd. Euro eines von drei speziellen Herkunfts- und Qualitätssiegeln.
Eingeführt haben die Gesetzgeber der EU sie 1992. Zu den bekanntesten Spezialitäten mit Schutzstatus gehören Parmaschinken und Champagner. Und es kommen immer mehr hinzu. Jüngste Neuzugänge: Weine aus Brandenburg ("Großräschener See") und Portugal ("Terras de Cister", "Terras do Dão"), französischer Käse namens "Tome fraîche de l’Aubrac" und spanisches Olivenöl namens "Aceite Villuercas Ibores Jara".
Es handele sich um "eine der großen Erfolgsgeschichten im Agrar- und Lebensmittelsektor der EU", prahlt der zuständige Kommissar Janusz Wojciechowski. Hersteller dürften ihm da kaum widersprechen. Wojciechowski zufolge "ist der Verkaufswert eines Erzeugnisses mit einem geschützten Namen im Durchschnitt doppelt so hoch wie der eines ähnlichen, nicht eingetragenen Erzeugnisses".
Reform der Herkunftssiegel
Unter dem Polen hat die EU-Kommission eine Reform der Herkunftskennzeichnungen angestoßen. Das eigentliche Ziel: Behördengänge vereinfachen und Hersteller auch im Online-Handel besser vor Imitaten schützen. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens kristallisierte sich allerdings noch eine andere Bestrebung heraus: mehr Transparenz über die Herkunft der verwendeten Zutaten.
Furcht vor der gläsernen Bratwurst trieb den Schutzverband Nürnberger Bratwürste auf die Barrikaden. Auch Vertreter der Süßwarenindustrie begehrten auf. Schließlich geht es nicht nur um die Wurst, sondern auch um Dresdner Stollen und Aachener Printen.
Nun gab es die entscheidende Abstimmung im EU-Parlament – und die Zeichen stehen auf Entwarnung. Angaben zur Herkunft der Zutaten seien auch künftig freiwillig, sagte der italienische Abgeordnete Paolo de Castro. Man habe auf diesem Punkt bestanden, um die Verbraucher zu schützen: "Sie sollen wissen, woher die Rohstoffe kommen."
Die CDU-Abgeordnete Christine Schneider sieht es anders: Es sei "egal, ob die Mandeln für das Marzipan für Nürnberger Printen und Dresdener Christstollen aus Spanien oder Italien kommen." Es werde keine verpflichtende Herkunftsangabe der primären Zutat geben, falls diese aus einem anderen Mitgliedstaat kommt. Ein Parlamentssprecher gab zu Protokoll, es habe da wohl "in Deutschland einige Missverständnisse" gegeben.
Schutz auch fürs Handwerk
Sofern es sich nicht um ein Missverständnis handelt, kommt in der EU bald ein ähnliches Herkunftssiegel für Handwerkskunst. Kommission und Parlament haben sich Rostbratwurst und Lebkuchen zum Vorbild genommen, um ebenso Schmuck, Porzellan, Glas und Ähnliches zu schützen.
Schätzungsweise 400 handwerkliche und gewerbliche Produkte könnten von dem neuen Schutzstatus profitieren, frohlockt die CDU-Europapolitikerin Marion Walsmann. Zu Recht, findet man beim Handwerksverband ZDH: Schließlich seien Schwarzwälder Kuckucksuhren, erzgebirgische Schwibbogen und Solinger Messer ebenso schützenswert wie Nürnberger Lebkuchen.