Wenn das Bullenreiten zum Wirtschaftsmotor wird
Notiert in Houston
Gott vergibt – der Bulle nie
Von Alex Wehnert
Die kleine Mathilda hat sich in der Schafswolle festgeklammert und will nicht loslassen. Auch nachdem das blökende Tier aus dem Gatter geschossen, über den mit einer dicken Schicht aus weicher roter Erde bedeckten Hallenboden gestürmt und in seiner am anderen Ende des Parcours wartenden Herde verschwunden ist, hält sich das Mädchen auf dem Rücken des Hammels. Schließlich müssen Helfer hinzueilen, um die junge Texanerin unter dem Jubel des Publikums im NRG Stadium herunterzuzerren. Mathilda gewinnt mit ihrer mutigen Vorstellung diese Runde des „Mutton Bustin’“ – einer festen Tradition bei der „Houston Livestock Show“.
Waghalsige Wettbewerbe
Der Wettbewerb, bei dem behelmte und in dicke Westen gepackte Kinder im Alter von fünf bis sechs Jahren darum konkurrieren, wer sich am längsten auf einem galoppierenden Schaf halten kann – wobei die meisten schon nach wenigen Metern herunterfallen und anschließend mit von Mama und Papa angeordnetem Grinsen, aber tränenden Augen in die Kamera winken –, ist die kleine Schwester der „echten“ Rodeo-Wettbewerbe. Beim „Steer Wrestling“, in dessen Zuge ein Cowboy von einem im vollen Lauf befindlichen Mustang hechtet, um einen durchgehenden jungen Ochsen am Hals zu packen und zu Boden zu ringen, oder beim „Saddle Bronc Riding“, bei dem ein Reiter sich möglichst elegant im Sattel eines bockigen Pferdes zu halten hat, geht es indes deutlich brutaler zu.
Höhepunkt der Veranstaltung ist indes das Bullenreiten: Selbst wer die „gefährlichsten acht Sekunden der Sportwelt“ auf dem Rücken wild gewordener Prachtexemplare namens „Man Hater“, „Stone Cold“ oder „Short Grub“ übersteht, ist nicht in Sicherheit. Denn der erzürnte Stier tritt in der Regel nach allen Seiten aus und lüstet danach, jeden in der Nähe auf die Hörner zu bekommen. Dass Gott vergibt, „Short Grub“ jedoch nie, findet an diesem Samstag Mitte März beispielsweise ein Cowboy aus dem texanischen Stephenville schmerzhaft heraus, der nach seinem unfreiwilligen Abgang vom Rücken des wild gewordenen Rinds wohl nur durch Glück ohne schwerere Verletzungen davonkommt.
Millionen auf dem Spiel
Das Rodeo ist dabei nicht nur ein Cowboy-Spektakel mit ansehnlichen Preisgeldern (die Gesamtsumme beträgt 2025 über 2,5 Mill. Dollar), sondern vielmehr ein Motor für die lokale Wirtschaft. Rancher reisen von weit her an, hier wechselt Vieh im Multimillionenwert die Besitzer. Rund um den Rinderhandel hat sich ein Jahrmarkt etabliert, dessen Fahrgeschäfte und Kulinarik-Angebote im März 2,5 Millionen Besucher anziehen. Bei Konzerten am Abend treten Rocklegenden wie Journey, Rapstars wie Post Malone und Country-Größen auf. Und Aussteller, die von Cowboyhüten und Stiefeln bis hin zu Möbeln und Matratzen ein buntes Potpourri an Waren anbieten, begreifen die „Livestock Show“ als riesige Publikumsmesse. Die Faszination kann wohl nur wirklich verstehen, wer schon einmal dem „Mutton Bustin’“ beigewohnt – oder „Short Grub“ in Aktion gesehen hat.