Notiert in Moskau

Westliche Selbsthilfegruppen in Russland

Die Umstände für die verbliebenen Geschäftsleute in Russland werden immer widriger und immer teurer. Nicht zufällig erfährt der Erfahrungsaustausch einen Boom.

Westliche Selbsthilfegruppen in Russland

Notiert in Moskau

Rückgriff auf alte Tradition

Von Eduard Steiner

Frühe Russlandreisende werden in Erinnerung haben, wie man seinerzeit – entweder noch in der Sowjetunion oder in den 1990er Jahren – Post an fernab wohnende Bekannte und Verwandte übergab. Man ging zum Bahnhof und bat Reisende um den Gefallen, das Päckchen oder den Umschlag mitzunehmen, der dann am Bahnsteig des Zielbahnhofs von den Adressaten persönlich entgegengenommen werde. Eine kleine Aufmerksamkeit für den Botendienst war nicht unüblich, wiewohl auch nicht zwingend.

Die Erinnerung kommt hoch, wenn man sieht, wie sich Ausländer – vielfach Geschäftsleute – in Russland auf diversen Foren und einschlägigen Chatgruppen tummeln, um angesichts der erschwerten Kommunikation und vor allem der verkomplizierten Reiserouten zwischen Russland und dem Westen einander Hilfsleistungen anzubieten bzw. solche zu finden. Ein Kuvert soll nach Berlin, wer kann es mitnehmen? Ein beglaubigtes Dokument soll von Paris nach St. Petersburg – wer wäre bereit? Ein kleines Paket wäre da zu befördern, wer hat Platz?

Selbsthilfegruppen gewissermaßen in einer Umgebung voller Sanktionen und Krieg. Und weil sich die Umstände – meistens Richtung Verschärfung – rapide ändern, braucht man die Hilfe der Community nicht nur für den Transport, sondern auch für Aufklärung über den aktuellen Stand und die Erfahrungen bei Visumsvergabe, Registrierungsvorschriften, Regulierungen oder Bankdienstleistungen. Gerade Letzteres beschäftigt die Betroffenen immens, um entsprechende Transaktionskanäle überhaupt noch zu finden, keine Sanktionen zu verletzen und von den Gebühren nicht aufgefressen zu werden.

Bei Banken hat sich die Situation dramatisch verschärft, seit das US-Finanzministerium am 21. November die Sanktionen gegen Russlands Finanzsektor ausgeweitet hat. Insgesamt sind 90 Unternehmen betroffen, allen voran die Gazprombank. Sie ist nicht nur das drittgrößte Kreditinstitut Russlands, sondern spielt auch eine Schlüsselrolle bei der Abrechnung für Erdgas, das nach Europa geliefert wird. Gerade aus diesem Grund war sie von den USA lange von den Sanktionen verschont geblieben. Nun hat man zum empfindlichen Schlag ausgeholt. Manche Beobachter halten die Maßnahme für die härteste seit Einführung des Ölembargos Ende 2022, zumal das US-Finanzministerium Banken weltweit davor gewarnt hat, sich dem von der russischen Zentralbank betriebenen Zahlungsnachrichtensystem SPFS, dem Pendant zum SWIFT-System, anzuschließen. Auch für die verbliebenen westlichen Unternehmer in Russland verkompliziert sich die Sache damit weiter, da die Gazprombank einer der letzten Kanäle nach außen war. Die Foren und Chats sind voll von Hilfsanfragen und Tipps, zu welchen Finanzdienstleistern man noch wechseln kann.

Die Luft für Banktransaktionen wird dünner, die Dienstleistungen immer teurer. Das gilt auch für die neuen Vermittler, Agenten genannt, die gegen hohe Gebühren Alternativwege anbieten.

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