Faule Kredite

Wie Indien seine maroden Banken entrümpeln will

Indiens Regierung nimmt einen neuen Anlauf zur Reform des Bankensystems. Die ist angesichts immenser Probleme mit faulen Krediten überfällig – auch um die Wirtschaft insgesamt auf Kurs zu bringen.

Wie Indien seine maroden Banken entrümpeln will

Von Stefan Reccius, Frankfurt

Indien ist im Club der aufstrebenden Volkswirtschaften aus der zweiten Liga der Weltwirtschaft das, was man im Leistungssport als ewiges Talent bezeichnet: ein Schwellenland mit großem Potenzial, das perspektivisch zur drittgrößten Volkswirtschaft hinter China und den USA aufsteigen dürfte, den hohen Erwartungen aber nie gerecht werden konnte. Die Gründe sind vielfältig. Der Arbeitsmarkt ist überwiegend informell geprägt und entsprechend instabil, die Armutsquote vor allem auf dem von Kleinbauern geprägten Land hoch, das Umfeld für dringend benötigte Investitionen aus dem In- und Ausland in eine zügigere Industrialisierung schlecht. Obendrein plagen den Bankensektor chronische Probleme. Die Regierung von Narendra Modi ist darauf angewiesen, sie zu lösen, will sie der Wirtschaft neuen Schwung verleihen.

Dazu hat sie in diesem Frühjahr einen neuen Anlauf genommen. Die Regierung kündigte an, eine nationale Bad Bank einzurichten, um die in der Coronakrise zusätzlich strapazierten Bilanzen der Banken zu entrümpeln. Analysten ziehen Vergleiche zum Vorgehen Südafrikas und Japans, um die Folgen der asiatischen Finanzkrise in den 1990er Jahren zu überwinden. Außerdem hat die Regierung in Aussicht gestellt, zwei große Staatsbanken zu privatisieren und den staatlichen Versicherungskonzern Life Insurance Corporation an die Börse zu bringen.

Inzwischen zeichnen sich erste Details ab. Den Plänen zufolge soll die Bad Bank 2 Bill. Rupien (umgerechnet ca. 23 Mrd. Euro) an faulen Krediten in ihre Bücher nehmen und umstrukturieren. Banken würden um circa ein Viertel ihres Bestands an maroden Krediten erleichtert. Das klingt zwar nicht gerade nach einem großen Wurf, analysiert Shilan Shah, Indien-Experte des Analysehauses Capital Economics. Doch er verweist auf den Umstand, dass in Indien etwa 30% notleidender Vermögenswerte auf 50 Unternehmen konzentriert seien. „Diese verteilen sich auf mehrere Konten, die die Bad Bank unter einem Dach konsolidieren und umstrukturieren könnte“, so Shah.

Problem faule Kredite

Indiens Banken können diese Erleichterungen dringend gebrauchen. Schon vor der Pandemie wiesen sie eine der höchsten Quoten an faulen Krediten unter Schwellenländern auf. Ihr Anteil von 7,5% wurde nach Angaben von Capital Economics 2020 lediglich von Russland übertroffen. Die Coronakrise hat das Problem verschärft: Trotz Staatshilfen für Firmen dürfte der Anteil an Non-Performing Loans (NPL) absehbar die 10-Prozent-Marke übersteigen. Die Zentralbank ging im Frühjahr von einem durchschnittlichen Anstieg auf 13,5% bis September aus (siehe Grafik), bei Staatsbanken auf über 16%. Zum Vergleich: Der Anteil fauler Kredite in den Bilanzen der Großbanken im Euroraum, die von der Europäischen Zentralbank (EZB) beaufsichtigt werden, belief sich laut EZB im ersten Quartal auf 2,5%. Und die Aufseher haben entwarnt, was Kreditrisiken aus der Coronakrise betrifft.

Im Falle Indiens gehen Analysten von Ratingagenturen zwar inzwischen davon aus, dass es dieses Jahr nicht ganz so schlimm kommen wird. Denn im Angesicht der heftigen zweiten Corona-Welle, die im Frühjahr dramatische Zustände im Gesundheitssystem und neuerliche Einschränkungen für die Wirtschaft zur Folge hatte, haben Notenbank und Regierung Erleichterungen für Firmen und sie finanzierende Banken beschlossen. Die Ratingagentur Fitch rechnet nun allerdings damit, dass sich die Krise nach und nach in den Bilanzen niederschlagen und der Anstieg fauler Kredite erst 2023 seinen Höhepunkt erreichen wird.

Das dürfte auf der ohnehin gedämpften Kreditvergabe lasten (siehe Grafik). Dabei sind Impulse von der Kreditfront im aktuellen Umfeld für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zentral. Der haushaltspolitische Spielraum ist begrenzt. Für das im April angelaufene Fiskaljahr plante die Regierung schon vor der zweiten Viruswelle mit einem Defizit von 9,5%. Analysten sorgt, dass Ratingagenturen Indien angesichts der ohnehin bereits vergleichbar hohen Staatsschulden den Status Investment Grade entziehen und die Staatsanleihen auf Ramsch herabstufen könnten. Auch von geldpolitischer Seite sind nur überschaubare Impulse zu erwarten. Denn bei ihrem wichtigsten Instrument zur Ankurbelung der Wirtschaft, den Leitzinsen, sind der Zentralbank die Hände gebunden: Die Inflation ist über ihre Toleranzschwelle von 6% gestiegen. Der Preisdruck könnte noch zunehmen, weil die angelaufene Monsun-Saison teils weniger Regen gebracht hat als erwartet. Das könnte den Ertrag bei der Ernte empfindlich schmälern und den weltweit ohnehin steigenden Preisdruck in Indien noch erhöhen. Niedriger als derzeit 4% dürfte der Leitzins kaum sinken.

Ökonomen sehen in den Reformvorhaben für den Bankensektor samt Vorhaben für eine zaghafte Privatisierung und mehr Wettbewerb ermutigende Signale, um die Probleme in den Griff zu bekommen. Doch es machen sich auch Zweifel breit. Indiens Herausforderung, so konstatiert die Ratingagentur S&P Global im gerade erschienen Halbjahresbericht zum globalen Bankenmarkt, sei schließlich stets die Umsetzung gewesen. Mit anderen Worten: Indien, das ewige Talent der Weltwirtschaft, muss endlich liefern.