LeitartikelAdnoc-Vorstoß

Willkommener Eigentümer für Covestro

Die sich abzeichnende Übernahme von Covestro durch Adnoc als Beweis für den Ausverkauf der deutschen Industrie zu werten, geht an der Realität vorbei. Für Covestro ergäben sich mit dem neuen Eigentümer durchaus Chancen.

Willkommener Eigentümer für Covestro

Covestro-Übernahme

Willkommener Eigentümer

Adnoc als neuer Eigentümer wäre aus Sicht von Covestro nicht die schlechteste Möglichkeit zur Zukunftssicherung.

Von Annette Becker

Für Apologeten des Niedergangs Deutschlands ist die sich abzeichnende Übernahme von Covestro durch Adnoc der schlagende Beweis: Der Ausverkauf der deutschen Industrie wird Realität. Doch ganz so simpel ist die Angelegenheit nicht. Denn der staatliche Öl- und Gaskonzern aus Abu Dhabi wäre als neuer Eigentümer aus Sicht des Kunststoffkonzerns und seiner Beschäftigten sicher nicht die schlechteste Möglichkeit zur Zukunftssicherung.

Natürlich ist es bedauerlich, wenn ein deutsches Vorzeigeunternehmen, noch dazu ein Unternehmen aus dem Blue-Chip-Index Dax, quasi aus der Öffentlichkeit verschwindet. Doch sind der Übernahme durchaus positive Seiten abzugewinnen. Zumal das Vorpreschen der Ölscheichs zeigt, dass es um die Attraktivität Deutschlands als Investitionsstandort doch nicht so schlecht bestellt ist, wie häufig insinuiert wird.

Neues Sparprogramm

Wenngleich Covestro ein global aufgestelltes Unternehmen ist, arbeiten doch noch immer fast 40% der Beschäftigten in Deutschland. Der auf Europa entfallende Umsatzanteil lag 2023 in vergleichbarer Größenordnung. Und auch wenn die Leverkusener gerade erst ein neues Sparprogramm aufgelegt haben, das fast hälftig auf den Heimatmarkt entfällt, wurde zugleich ein Beschäftigungssicherungspakt geschlossen. Bis 2032, also für acht Jahre, gibt es keine betriebsbedingten Kündigungen. Eine Vereinbarung, an die auch der potenzielle neue Eigentümer gebunden wäre.

Das Sparprogramm ist weder als Zugeständnis an den neuen Investor noch als Abwehrmanöver zu verstehen. Auch ohne Adnoc hätte Covestro den Rotstift gezückt, dem Beispiel von BASF, Evonik, Lanxess & Co folgend. Die Rahmenbedingungen für die Chemieindustrie haben sich seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs drastisch verändert. Energiepreise wie in Zeiten, als Russland noch billiges Pipelinegas lieferte, kommen so schnell nicht wieder. Die hiesigen Strompreise, welche die Industrie zahlt, sind nicht einmal auf europäischer Ebene wettbewerbsfähig. Das sind Fakten, die sich nicht wegreden lassen.

Ausrichtung auf Kreislaufwirtschaft

Wer kann – und Covestro wäre dazu aufgrund Größe, globaler Aufstellung und Marktposition sicherlich in der Lage –, verlagert die Produktion ins Ausland. Doch gerade Covestro gehörte in den vergangenen Jahren zu den Industriekonzernen, die am Standort D ganz bewusst festhielten. Dass das nur mit der Bereitschaft zu Veränderungen gelingen kann, versteht sich von selbst. Das erwartet aber nicht nur ein neuer Eigentümer, sondern auch die bisherigen Aktionäre.

Mit einem Investor aus dem Morgenland, der auf mit Petrodollars gefüllten Staatskassen sitzt, dürfte es für Covestro zudem einfacher werden, lang gehegte Investitionsvorhaben beschleunigt und weitgehend unabhängig vom Konjunkturzyklus zu realisieren. Mit der vollständigen Ausrichtung auf die Kreislaufwirtschaft verfügt Covestro nämlich über eine überzeugende Strategie.

Adnoc wird keine Fantasiepreise zahlen

Sicher, für einen Chemiekonzern, dessen Produkte zu weit über 90% auf rohölbasierten Rohstoffen basieren, ist es ein weiter Weg zur Klimaneutralität. Doch die reichen Ölländer aus Nahost verfolgen die Nachhaltigkeitsbestrebungen nicht erst seit gestern mit Interesse, sind sie doch auf der Suche nach Diversifikationsmöglichkeiten, solange die Einnahmen aus den Öl- und Gasquellen noch sprudeln. Allen voran die Chemieindustrie ist für sie ein attraktives Betätigungsfeld, das der Verlängerung der eigenen Wertschöpfungskette dient.

Niemand sollte daher glauben, dass sich Adnoc lediglich die konjunkturelle Lage zunutze macht, um hierzulande auf Schnäppchenjagd zu gehen. Die Investoren aus den Emiraten sind strategisch unterwegs und bewerten Übernahmeziele unabhängig vom Zyklus. Die in Aussicht gestellten 62 Euro entsprechen einem Aufschlag auf den unbeeinflussten Kurs vor Aufkommen erster Übernahmegerüchte von stolzen 54%. Wichtiger aber: Seit dem Börsengang 2015 notierte Covestro nur zwischen Oktober 2016 und Oktober 2018 über dem indikativen Angebotspreis. Daher sollten sich Aktionäre vor überzogenen Preisvorstellungen hüten: Fantasiepreise wird Adnoc nicht zahlen.

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