Berlin

Wir werden alle rote Pudelmützen tragen

In Berlin wird die fehlerhafte Wahl zum Abgeordnetenhaus wiederholt werden. Auch für den Bund könnte dies Folgen haben.

Wir werden alle rote Pudelmützen tragen

Die Bundeshauptstadt macht ihrem Ruf als Chaosclub mal wieder alle Ehre. Das Berliner Verfassungsgericht hat zwar kein Urteil gefällt, aber an seiner Einschätzung der Wahl im vergangenen Herbst im Stadtstaat keinen Zweifel gelassen: Der Verlauf der Wahl war so fehlerhaft, dass die Richter eine Wiederholung für nötig halten. Formal beschlossen ist bislang nichts, aber in der Landespolitik zeichnet sich in der peinlichen Lage auch kein Widerstand ab. Aktuelle Umfragen zeigen: Die Karten könnten völlig neu gemischt werden. Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) wackelt nach dem ohnehin knappen Wahlsieg im Amt, wenn die Vorausschau der Demoskopen sich in der Abstimmung bewahrheiten würde. Giffey nimmt es mit etwas gequältem Humor. „Wir werden alle rote Pudelmützen tragen“, sagte sie mit Blick auf den bevorstehenden Wahlkampf, der sich durch den Winter ziehen dürfte. Neu gewählt werden muss spätestens im Frühjahr 2023.

Kurz zur Erinnerung: Was war geschehen? Die Berliner stimmten im Herbst 2021 nicht nur über den neuen Bundestag ab, sondern waren auch zur Wahl des Abgeordnetenhauses – also zur Landtagswahl – , zur kommunalen Bezirkswahl und zum Entscheid über das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ aufgerufen. In der nonchalanten Selbstherrlichkeit, die Berlin so zu eigen ist, sah die Wahlleitung im Berlin Marathon am selben Sonntag kein organisatorisches Beschwernis. Rund 400000 Läufer bewegten sich auf der 42,2km langen Stecke quer durch die Stadt. Über das Wochenende sind Straßen voll gesperrt und oft nur an wenigen Stellen zu überqueren. Wer außerhalb des Marathons sicher zum Ziel kommen will, bewegt sich am besten zu Fuß oder unterirdisch mit der U-Bahn. Am Wahltag kam es zum Desaster.

Wahllokale mussten zeitweise geschlossen werden, weil Stimmzettel fehlten. Die Bezirkswahlleiter konnten die bis zu 24 kg schweren Pakete für die vier Abstimmungen nicht am Vorabend wie üblich persönlich durch die Stadt transportieren. Am Wahltag versagte wegen der Verkehrslage der Nachschub. In mehr als 250 Wahllokalen wurde noch nach 18.30 Uhr gewählt, als schon die ersten Hochrechnungen bekannt wurden. Das letzte Wahllokal schloss um 21.31 Uhr.

Das Abgeordnetenhaus wird nun nicht neu gewählt, sondern die Wahl wiederholt. Es treten also dieselben Kandidaten an wie im Herbst 2021. Auf Landesebene war die SPD mit 21,4% knapp vor den Grünen mit 18,9% gelandet. Die CDU erreichte 18,0%. Zeitweise sah es am Wahlabend sogar so aus, als würden die Grünen stärkste Partei. So konnte Giffey gegenüber den Grünen nicht die von ihr favorisierte Ampel mit der FDP (7,1%) durchsetzen, sondern muss im unveränderten rot-grün-roten Dreierbündnis mit der Linken (14,1%) regieren. In aktuellen Umfragen liegt die SPD mit 17% hinter den Grünen und der CDU. Die beiden Letzteren haben mit 21% bzw. 20 % nur einen geringen Ab­stand. Die Wahlwiederholung könnte in Berlin zu einem grün-schwarzen der schwarz-grünen Bündnis führen.

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Ob auch die Bundestagswahl in Berlin wiederholt wird, muss der Bundestag entscheiden. Offen ist auch, wie es mit dem Volksentscheid zur Verstaatlichung großer Wohnungsgesellschaften aussieht. Giffey war dagegen und hatte die Prüfung der Verstaatlichung in eine Arbeitsgruppe verbannt. Bundespolitische Folgen würde ein Wechsel im Amt „des Regierenden“, wie die Berliner liebevoll ihren Bürgermeister nennen, aber auch an anderer Stelle haben. In der Ministerpräsidentenkonferenz hat das CDU-regierte Nordrhein-Westfalen aktuell den Vorsitz. Dort werden auch die Belange der sogenannten B-Länder, also der unionsgeführten Landesregierungen, koordiniert. Die Interessen der SPD-geführten sogenannten A-Länder koordiniert derzeit Berlin. So treten die Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) und Giffey nach solchen Sitzungen zusammen vor die Presse. Ändert sich in Berlin die Parteienfarbe, müsste ein anderes SPD-geführtes Bundesland die Interessen der A-Länder zusammenhalten, damit die politische Balance wieder stimmt.