LEITARTIKEL

WM mit Werbeeffekt

Diese Wette ist vermutlich leicht zu gewinnen: Den neuen Fußball-Weltmeister rüstet Adidas oder Nike aus. Die zwei dominierenden Unternehmen der Sportartikelbranche beherrschen auch die Szenerie in den russischen Stadien, wo vom 14. Juni bis 15....

WM mit Werbeeffekt

Diese Wette ist vermutlich leicht zu gewinnen: Den neuen Fußball-Weltmeister rüstet Adidas oder Nike aus. Die zwei dominierenden Unternehmen der Sportartikelbranche beherrschen auch die Szenerie in den russischen Stadien, wo vom 14. Juni bis 15. Juli 32 Nationalteams um den Weltpokal kicken. Zu den zwölf Mannschaften in Adidas-Trikots gehören die Favoriten Argentinien, Deutschland und Spanien sowie Belgien und Kolumbien, die für Überraschungen gut sein könnten.Im Portfolio der zehn Teams von Nike sind die Titelanwärter Brasilien und Frankreich sowie mit Außenseiterchancen Europameister Portugal und England. Die einzige Elf, die den zwei Größten der Branche die Party hätte verderben können, ist die italienische, die Hosen und Leibchen von Puma trägt. Doch zum ersten Mal seit 60 Jahren konnte sich der vierfache Weltmeister nicht für eine Endrunde qualifizieren.Das kostet Puma Umsatz und Gewinn, denn die blauen Trikots lassen sich nach dem Scheitern der Squadra Azzurra nicht in der geplanten Menge verkaufen. Aber das Unternehmen, das vier WM-Teams einkleidet, kann diesen Ausfall verkraften. Es wächst nach einer Schwächephase wieder kräftig, weil es den Geschmack der Verbraucher trifft. Auch Adidas gelingt das besser als den US-Konkurrenten. Nike kämpft zudem auf dem Heimatmarkt mit den Pleiten von Sporthändlern, Under Armour muss sich nach aggressivem Wachstum neu sortieren.Es sind an sich goldene Zeiten für die Branche. Die wachsende Mittelschicht in Schwellenländern, allen voran in China, entdeckt Sport als Freizeitvergnügen und Gesundheitsprogramm. Und das Interesse an westlichen Marken ist riesig. Begleitet wird diese Entwicklung von dem weit verbreiteten Trend zu legerer Kleidung im Alltag und im Beruf. Athleisure lautet der englische Begriff dafür. Auch spezielle Kollektionen für Frauen stoßen auf eine hohe Nachfrage. Angesichts dieser Wachstumskräfte hat eine Fußball-WM gar nicht mehr einen so großen direkten Effekt auf die Umsätze der Sportartikelanbieter. Ein Beispiel: Vor und nach dem WM-Sieg 2014 in Brasilien verkaufte Adidas rund 3 Millionen Trikots der deutschen Nationalmannschaft. Diese Rekordmenge machte grob geschätzt nicht einmal 1 % des Konzernjahresumsatzes aus. Und das gesamte Segment Fußball trug zuletzt nur noch etwa 12 % zum Erlös von Adidas bei.Allerdings entfaltet eine Fußball-WM weiterhin eine starke Werbewirkung und Strahlkraft für die Marken. Das Finale 2014 sahen rund eine Milliarde Menschen im Fernsehen. Adidas ist besonders sichtbar – nicht nur wegen der zwölf Mannschaften. Auch der Ball ist mit den drei Streifen bedruckt, und die Schiedsrichter pfeifen im Adidas-Outfit.Den Ausrüstern und Sponsoren ist es gleichgültig, wo die WM stattfindet. Überall gebe das Turnier der Sportartikelindustrie einen Schub, argumentiert etwa Adidas. Damit macht es sich das Unternehmen jedoch viel zu einfach: Alles, was sich außerhalb der Stadien abspielt, wird ausgeblendet. Natürlich nutzt der russische Präsident Wladimir Putin, dem Machterhalt vor Demokratie geht und dessen Regime Menschenrechte verletzt, die WM für Eigenwerbung. Und natürlich sind auf den Baustellen in Katar, wo in vier Jahren das Turnier stattfindet, die Bedingungen für die Arbeiter fürchterlich. Die Ursache von hunderten Todesfällen ist nach wie vor ungeklärt.Der Weltfußballverband Fifa unternimmt viel zu wenig und verschanzt sich hinter Alibi-Aktionen. Die Organisation wird seit Jahren von immer neuem Korruptionsverdacht – auch wegen der Vergabe der Weltmeisterschaften – und veritablen Bestechungsfällen durchgeschüttelt. Präsident Gianni Infantino agiert so selbstherrlich wie sein Vorgänger Sepp Blatter. Die Sponsoren nutzen ihre Macht als Geldgeber kaum, um Veränderungen durchzusetzen. Von Kasper Rorsted, seit 20 Monaten Vorstandsvorsitzender von Adidas, ist zu dem Thema allenfalls in Interviews etwas zu hören. Er meidet zwar im Gegensatz zum Vorgänger Herbert Hainer die Nähe zur Verbandsspitze. Doch solange die Fifa nicht verurteilt sei, gibt es aus Rorsteds Sicht keinen Anlass, den bis 2030 laufenden Sponsorenvertrag zu überdenken.Aber seien wir selbstkritisch: Auch für uns fußballbegeisterte Zuschauer verblassen die Missstände in dem Sport, wenn das WM-Turnier am kommenden Donnerstag in Moskau angepfiffen wird.—–Von Joachim HerrDie Fußball-WM entfaltet eine starke Werbewirkung für die Sportartikelindustrie. Vor Missständen verschließt die Branche die Augen.—–