Wo Abgeordnete besser abschneiden als Dax-Chefs
Gleich zwei Mal wurde der zurückgetretenen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht in den zurückliegenden Tagen noch einmal eine Ehrung in Berlin zuteil: zum einen beim Großen Zapfenstreich der Bundeswehr, wo insbesondere ihre persönliche Liedauswahl bei einigen Weggefährten für Stirnrunzeln sorgte („Niemals geht man so ganz“ von Trude Herr), und zum anderen in einer von der Universität Hohenheim, die der SPD-Politikerin bescheinigte, sie habe in der letzten großen Haushaltsdebatte die verständlichste Rede von allen Kabinettsmitgliedern gehalten. Die Kommunikationsforscher der Hochschule hatten in einer Studie insgesamt 96 Reden im Bundestag vom vergangenen September genauer unter die Lupe genommen – quer durch alle Fraktionen und zu allen Einzelplänen des Budgets 2023. Mit Hilfe einer Software und des selbst kreierten „Hohenheimer Verständlichkeitsindex“ wurde die Verständlichkeit der Reden untersucht: Satzlängen, Wortlängen, Schachtelsätze und der Anteil abstrakter Wörter.
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Nach diesen formalen Kriterien erhielt die Linken-Abgeordnete Gesine Lötzsch in der Debatte über den Einzelplan des Gesundheitsministeriums insgesamt die besten Noten. Die formal unverständlichste Rede hielt den Forschern zufolge Kerstin Vieregge von der CDU in der Debatte über den Verteidigungsetat. Und innerhalb des damaligen Kabinetts schnitt halt Lambrecht am besten ab, dicht gefolgt von Bettina Stark-Watzinger, der Bildungsministerin von der FDP. Den letzten Platz in dieser Sparte belegt Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne). Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) landet mit seiner Rede übrigens im Mittelfeld – schnitt in Sachen Verständlichkeit dann aber doch noch etwas besser ab als CDU-Fraktionschef und Oppositionschef Friedrich Merz. Als die häufigsten Verstöße gegen die Verständlichkeits-Regeln listeten die Hohenheimer Forscher in ihrer Studie übrigens auf: Fremdwörter und Fachwörter, Wortkomposita und Nominalisierungen, Anglizismen und „Denglisch“ sowie lange „Monster- und Bandwurmsätze“.
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Aber Lötzsch und vor allem Lambrecht ganz oben auf Reden-Treppchen? Das überrascht dann doch alle, die einmal eine (Haushalts-)Debatte im Bundestag verfolgt haben. Die formale Verständlichkeit sei ja nicht das einzige Kriterium, von dem die Güte einer Rede abhänge. Wichtiger sei natürlich noch „der Inhalt“, wird daher auch in der Studie klargestellt. Hinzu kämen auch Kriterien wie der Aufbau der Rede oder der Vortragsstil. „Formale Unverständlichkeit stellt aber eine Hürde für das Verständnis der Inhalte dar“, so das Hohenheim-Team rund um den Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider, das bereits seit mehr als 15 Jahren Parameter erforscht, anhand deren man die formale Verständlichkeit von Texten und Reden möglichst objektiv messen kann. „Deutschlandfunk“-Nachrichtenchef Marco Bertolaso, der die jetzige Untersuchung der Bundestagsreden mit angestoßen hatte, verweist zudem darauf, dass sich die Politik derzeit häufig hinter Fachbegriffen und Floskeln verstecke oder versuche, die Öffentlichkeit mit PR-Begriffen wie „Das Gute-Kita-Gesetz“ zu beeinflussen.
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Studienleiter Brettschneider zeigte sich über das Ergebnis der Untersuchung gar nicht mal so unzufrieden. Im Schnitt seien die Haushaltsreden etwas verständlicher als die Reden der Vorstandsvorsitzenden auf den Jahreshauptversammlungen der Dax-40-Unternehmen, betonte er. Auf einer Skala von 0 (schwer verständlich) bis 20 (leicht verständlich) kamen die Abgeordneten nämlich immerhin auf einen Durchschnittswert von 15,3 Punkten. Die Dax-Chefs kamen in einer ähnlichen Untersuchung im vergangenen Jahr lediglich auf 14,3 Punkte im Durchschnitt. Insgesamt sei die Verständlichkeit in der Haushaltsdebatte „zufriedenstellend“ gewesen, lautet daher das Fazit von Brettschneider. „Bei einem Teil der Reden ist aber noch Luft nach oben.“