Die Wolfsburger Wohlfühlblase muss platzen
Volkswagen
Die Wolfsburger Blase muss platzen
Von Sebastian Schmid
Über Jahre hat der VW-Konzern sich immer wieder Sand in die Augen streuen können. Jetzt rächt sich das naive Wunschdenken, das in Wolfsburg über Jahre vorherrschend war.
Große Träume haben sie in Wolfsburg schon immer gehabt. Und eine „Mia san mia“-Haltung, wie sie sonst nur der FC Bayern im Fußball an den Tag legt. Kein Wunder. Volkswagen ist zwar ein Konzern, der in Niedersachsen tief verwurzelt ist. Sechs der zehn deutschen Werke sind hier zu finden. Gut die Hälfte der Mitarbeiter in Deutschland arbeiten am Stammsitz in Wolfsburg. Aber an der Vorstandsspitze ist man in den vergangenen Jahrzehnten entweder selbst aus dem Süden Deutschlands oder aber dort sozialisiert worden. Das gilt zumindest, seit der Österreicher Ferdinand Piëch 1993 an die Konzernspitze gerückt ist, der zuvor bei Porsche und Audi tätig war. Nachfolger Bernd Pischetsrieder kam von BMW, dessen Nachfolger Martin Winterkorn von Audi, mit Matthias Müller folgte ein Porsche-Mann, gefolgt vom Ex-BMW-Manager Herbert Diess und nun wieder einem Porsche-Manager mit Oliver Blume. Letzterer ist zumindest gebürtiger Braunschweiger und damit ein echter Norddeutscher.
Sozialisiert im Premiumsegment
Die wahre Gemeinsamkeit ist dann auch nicht die Herkunft oder die süddeutsche Sozialisation. Es ist die Prägung im Premiumgeschäft der Automobilindustrie. Volkswagen ist zwar einer der weltgrößten Autobauer und ein Volumenanbieter. Aber um es bei diesem an die Spitze zu schaffen, hat man sich in den vergangenen Dekaden dann doch lieber bei einer margenstarken Oberklassemarke die Sporen verdient. Während die Blume-Vorgänger zumindest noch die Leitung der Marke VW Pkw übernahmen und damit auch direkte Verantwortung fürs Kerngeschäft, hat es der aktuelle Vorstandsvorsitzende vorgezogen, weiterhin den mittlerweile ebenfalls börsennotierten Sportwagenbauer Porsche zu leiten.
Dass diese beiden Ämter ganz wunderbar zueinander passen, wie Blume immer wieder betont, entlarvt sich in der Krise als Wunschdenken. Die aus Blumes Porsche-Erfahrung heraus getroffene Entscheidung, die VW-Modelle noch wertiger und damit teurer zu gestalten, erzielt nicht den gewünschten Effekt. Im schwächelnden Volumengeschäft lassen sich höhere Verkaufspreise kaum durchsetzen. Im laufenden Jahr hat VW Pkw nach neun Monaten mit 3,4 Millionen Fahrzeugen knapp 80.000 weniger verkauft als im Vorjahreszeitraum. Allerdings muss fairerweise gesagt werden, dass die schwachen Auslieferungen auf die Zeit vor Blume zurückgehen. Seit 2021 wabert die Zahl der Auslieferungen zwischen 4,6 Millionen und 4,9 Millionen im Jahr. Vor der Corona-Pandemie waren es über Jahre gut 6 Millionen Auslieferungen. Wenn VW-Markenchef Thomas Schäfer von einem strukturellen Kostenproblem spricht, geht das auch darauf zurück. Die Kernmarke verkauft über eine Million Autos pro Jahr zu wenig.
Rettungsanker China fällt weg
Solange ein florierender Markt in China den Heimatmarkt quersubventionieren konnte, wurde das von allen Seiten gerne angenommen. Die Alternative wäre schließlich gewesen, sich mit den eigenen Fehlern auseinanderzusetzen. Und daran haben in Wolfsburg traditionell weder Politik noch Gewerkschaften oder auch das Management Interesse. Die Politik hätte sich eingestehen müssen, dass ihr übliches Geschacher um Modellzuweisungen an heimische Werke dazu führt, die Effizienz des Konzerns sukzessive auszuhöhlen. Die Gewerkschaften hätten sich eingestehen müssen, dass sie Privilegien für Mitarbeiter in Deutschland auf dem Rücken schlechter bezahlter Kollegen in anderen Ländern aushandeln. Und dem Management kamen die vorgenannten Parteien noch immer verlässlich zupass, wenn mal wieder etwas operativ richtig schiefgelaufen ist.
Der Konzern hat daher nur eine Chance: Die unselige Komplizenschaft der VW-Triade muss ein Ende finden. Das Land Niedersachsen hält dazu den Schlüssel in der Hand. Wenn es wirklich will, dass VW die aktuelle Krise übersteht, wird das nur mit mehr Unabhängigkeit von der Politik gelingen. Ein erster Schritt wäre es, die Sitze im Aufsichtsrat zur Verfügung zu stellen. Ein zweiter Schritt die Trennung von Anteilen, und eine Änderung des VW-Gesetzes, muss zwingend folgen. Die Blase, in der Wolfsburg sich befindet, hat dafür gesorgt, dass die Krise viel zu spät erkannt und angegangen wurde. Zeit, sie zum Platzen zu bringen.