Unterm Strich

Wolfsburger Zeitenwechsel

Die neue Transparenz nach der Ära Osterloh lässt hoffen, dass sich im Wolfsburger Autokonzern nicht nur antriebstechnisch, sondern auch governancemäßig ein Zeitenwechsel anbahnt.

Wolfsburger Zeitenwechsel

Was ist die angemessene Vergütung eines Betriebsrats? Schließlich ist Betriebsrat ein Ehrenamt, das unentgeltlich ausgeübt wird, dem Amtsinhaber aber bei Freistellung die Entgeltfortzahlung garantiert. Mit einem Gehalt, das laut Betriebsverfassungsgesetz nicht geringer sein darf als das Gehalt „vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung“. Aber was heißt das konkret, was ist „betriebsüblich“? Lassen sich damit Jahresbezüge eines Betriebsrats von in der Spitze 750000 Euro rechtfertigen?

Causa Osterloh

Eine Frage, die im Grundsatz nicht nur seit langem Betriebsräte, Arbeitgeber, Juristen und Politiker umtreibt, sondern aktuell die Richter am Landgericht Braunschweig. Dort wird seit einigen Tagen die Causa Osterloh verhandelt, und zwar in einem Strafprozess gegen die ehemaligen VW-Personalvorstände Karlheinz Blessing und Horst Neumann sowie zwei ehemalige Personalchefs der Marke VW. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, zwischen Mai 2011 und Mai 2016 insgesamt fünf Betriebsratsmitgliedern, darunter dem früheren Konzernbetriebsratschef und heutigen Traton-Personalvorstand Bernd Osterloh, überhöhte Gehälter und Boni gewährt zu haben. Dadurch sei dem VW-Konzern ein Schaden entstanden, den die Behörde bei Anklageerhebung im Herbst 2019 mit insgesamt gut 5 Mill. Euro beziffert hatte. Allein auf Osterloh, der in der Spitze bis zu 750000 Euro im Jahr einstrich, entfiel demnach eine ungerechtfertigte Vergütung von 3,12 Mill. Euro.

Über die angemessene Höhe der Vergütung für den Betriebsratsvorsitzenden eines Weltkonzerns wie VW lässt sich trefflich streiten. Es gibt durchaus gute Gründe, sein Gehalt nach Jahrzehnten der Betriebszugehörigkeit an jenem eines Hauptabteilungs- oder Bereichsleiters zu orientieren, wie das bis 2017 geschah. Ein daraus abgeleitetes Jahresgrundgehalt von etwa 200000 Euro wäre auch nicht Stein des Anstoßes geworden, aus dem man den Untreuevorwurf gegen die seinerzeit verantwortlichen Personalvorstände hätte ableiten können. Dieser während der staatsanwaltlichen Ermittlungen auf knapp 100000 Euro gedeckelte Betrag wurde nach einem Schiedsverfahren vor dem Braunschweiger Amtsgericht wieder auf ein außertarifliches Gehalt angehoben, das mit angeblich rund 170000 Euro etwas unter dem früheren Niveau lag.

Betriebsrat und Co-Manager

Kritisch sind freilich die exorbitanten Boni zu sehen, die in Abhängigkeit vom Unternehmenserfolg gezahlt wurden. Da Osterloh bei VW als IG-Metall-Vertreter im Betriebsrat auch herausragender Vertreter einer Tarifpartei ist und die zwischen Konzernleitung und IG Metall abgeschlossenen Haustarifverträge erheblichen direkten Einfluss auf die Gewinnentwicklung haben, liegt ein klarer Interessenkonflikt vor. Osterloh selbst dürfte das nie so empfunden haben, fühlte er sich doch als Betriebsratschef wie ein Co-Manager und spätestens seit Martin Winterkorns Rücktritt nicht nur mächtiger, sondern auch kompetenter als dessen seitherige Nachfolger. Nicht zuletzt mit CEO Herbert Diess probte er den Machtkampf so lange, bis die Aktionäre ihm einen vergoldeten Abschied aus dem Zentrum der Macht anboten.

Nicht die Höhe der Vergütung per se, sondern die für den VW-Konzern typischen Governance-Defizite mit der Folge von Abhängigkeiten und Interessenkonflikten sind es, die beim konkreten Fall und darüber hinaus das Ärgernis darstellen. Denn der von den Vorständen Blessing und Neumann begünstigte Osterloh saß seit Juli 2005 bis zum Ausscheiden am 1. Mai 2021 als Präsidiumsmitglied im Aufsichtsrat. Er war damals Klaus Volkerts nachgefolgt, der wegen der Verwicklung in eine Korruptions- und Bordellaffäre zurücktreten musste. Osterloh hatte damit seit 2005 ein entscheidendes Wort bei der Auswahl und Bestellung der Personalvorstände und Arbeitsdirektoren mitzureden.

Amigowirtschaft

Kein Wunder, dass die auch für großindustrielle Verhältnisse herausstechende Vergütung Osterlohs von Blessing nicht weiter hinterfragt wurde und er sich auf die Einschätzung der Konzernjuristen verließ. Schließlich kam er als Genosse und Gewerkschafter ja aus dem gleichen Lager: Blessing diente einst dem IG-Metall-Führer Franz Steinkühler als Büroleiter, später war er Bundesgeschäftsführer der SPD. Berufen in den VW-Vorstand wurde Blessing 2015 am Ende jenes Jahres, das im Frühjahr nach dem spektakulären Rücktritt Ferdinand Piëchs als Aufsichtsratsvorsitzender mit Berthold Huber einen ehemaligen IG-Metall-Chef – und nicht einen Vertreter der Aktionäre – als obersten Kon­trolleur des Konzerns bekam und in dem nach Piëchs Demission in den Reihen der Anteilseigner SPD-Ministerpräsident Stephan Weil für den Großaktionär Niedersachsen im VW-Aufsichtsrat das Wort führte. Mehr Amigo- und Parteibuchwirtschaft ist kaum denkbar.

Zeichen für Transparenz

Bleibt zu hoffen, dass mit Osterlohs Seitenwechsel vom Betriebsrat auf den eigens für ihn geschaffenen und mit 2 Mill. Euro pro Jahr sehr üppig dotierten Personalvorstandsposten bei der Nutzfahrzeugholding Traton und der gegenwärtigen juristischen Aufarbeitung vor dem Landgericht Braunschweig ein unappetitliches Kapitel ganz besonderer Günstlingswirtschaft bei VW zu Ende geht. Zumindest scheint Osterlohs Nachfolgerin als Konzernbetriebsratsvorsitzende und Aufsichtsrätin, Daniela Cavallo, eine Vergütung zu bekommen, die man als angemessen ansehen kann. In einem Interview nannte Cavallo, die sich seit Anfang 2019 als Osterlohs Stellvertreterin für die Nachfolge warmlief, eine Größenordnung von rund 100000 Euro zuzüglich Boni in fünfstelliger Höhe. Da wäre wohl noch Luft nach oben. Und die neue Transparenz lässt hoffen, dass sich im Wolfsburger Autokonzern nicht nur antriebstechnisch, sondern auch governancemäßig ein Zeitenwechsel anbahnt.

c.doering@boersen-zeitung.de

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.