Luftfahrt

Zäsur über den Wolken

Für einen erfolgreichen Neustart nach der Corona-Pandemie hat Airbus bessere Voraussetzungen als Boeing. Der US-Konzern ist deutlich geschwächt.

Zäsur über den Wolken

Was waren das noch für Zeiten, als Airbus unter Mitwirkung des legendären CSU-Spitzenpolitikers Franz Josef Strauß vor über einem halben Jahrhundert gegründet wurde. Die USA, die damals mitten im Vietnamkrieg steckten, belächelten das Bestreben der Europäer, einen den Amerikanern ebenbürtigen Flugzeughersteller aufzubauen. Damals dominierten Boeing und McDonnell Douglas das prestigeträchtige Geschäft weltweit.

Und heute? McDonnell Douglas ist längst vom Markt verschwunden; vor 24 Jahren musste das klamme Unternehmen unter das Dach des US-Wettbewerbers schlüpfen, um sich auf diese Weise retten zu lassen. Airbus ist für den Konzern aus Chicago derweil zu einem ernst zu nehmenden Rivalen herangewachsen. Mehr noch: Der seit fast einem Vierteljahrhundert ausgetragene Zweikampf zwischen den Amerikanern und dem von Franzosen und Deutschen dominierten Unternehmen über die Vorherrschaft über den Wolken hat eine kritische Phase erreicht.

Boeing ist gegenüber Airbus deutlich ins Hintertreffen geraten. Der Corona-Schock hat dem einst stolzen Luftfahrtkonzern noch stärker zugesetzt als dem europäischen Gemeinschaftsbündnis. Strategische Fehlentscheidungen, Missmanagement (Stichwort Desaster mit dem Mittenstreckenmodell 737 Max) und ein überfrachtetes Projektprogramm haben Boeing unternehmerisch und bilanziell derart überfordert und geschwächt, dass Airbus jetzt über eine bessere Ausgangsposition verfügt, mit der nun wirksamen Bekämpfung des Covid-19-Virus schneller und erfolgreicher neu durchzustarten. Während sich Airbus auf der Passivseite der Bilanz mit einem wachsenden Eigenkapital stabilisiert hat, kämpft Boeing noch mit den Folgen vorwiegend selbstverschuldeter Fehlentwicklungen, die bereits vor Ausbruch der Pandemie zu verzeichnen waren.

Hohe Schulden und ein deutlich negatives Eigenkapital grenzen den finanziellen Spielraum von Boeing-Chef David Calhoun ein, um den Konzern ins Lot zu bringen. Für größere eigenfinanzierte Innovationen fehlt ihm derzeit das Geld. Die notwendige Sanierung der Bilanz kostet ihn wertvolle Zeit. Zeit, die dann fehlt, um Airbus auf operativer Ebene im zivilen Kerngeschäft weiterhin erfolgreich Paroli bieten zu können. Die vorläufige Lösung im langen Streit zwischen der EU und Washington über Subventionen in der Flugzeugindustrie entlastet zwar beide Seiten, eine grundsätzliche Änderung in der gegenwärtigen Konstellation bringt dies aber nicht. Bei der Zahl der ausgelieferten Passagierflugzeuge haben die Europäer den einstigen Marktführer auf den zweiten Rang verwiesen. Diese Situation dürfte in den kommenden Jahren andauern. Airbus hat Boeing überholt. Das ist eine Zäsur.

Hatte so mancher Konzern-Topmanager nach der überwundenen Finanzmarktkrise einem sich einpendelnden dauerhaften Gleichgewicht zwischen beiden Unternehmen auf Ebene des Neugeschäfts und des Absatzes noch das Wort geredet, meidet nunmehr Airbus-CEO Guillaume Faury diese Einschätzung.

Darin spiegelt sich allerdings keine Selbstgefälligkeit des Franzosen wider, sondern der Ansatz der Konzernführung, dass das Unternehmen nach dem Fehltritt mit dem A380 sich mehr auf seine Stärken konzentriert. Dabei spielt die A320-Baureihe eine Schlüsselrolle. Die Kurz- und Mittelstreckenserie ist die Cashcow. Sie macht rund vier Fünftel der Auslieferungen aus. Die Serie erwies sich als den Konkurrenzmodellen von Boeing überlegen. Darauf baut Faury. Er will die Fertigung im Brot-und-Butter-Geschäft auf Rekordniveau hieven. Denn den Annahmen zufolge werden die Aktivitäten der Airlines sich auf Basis dieser Flugzeugtypen rascher erholen als das Segment der Interkontinentalflüge, wo naturgemäß Langstreckenmodelle gefragt sind.

Calhoun und Faury müssen sich auf dem letzteren Feld wohl noch in Geduld üben, bis sich hier ebenfalls Licht am Ende des Tunnels abzeichnet. Die Covid-19-Folgen wirken noch nach. Die einstige Euphorie über die langfristigen Wachstumsperspektiven in diesem Segment ist einem nüchternen Realitätssinn gewichen. Beide Konzerne mussten ihre langfristigen Marktausblicke nach unten korrigieren. Korrekturbedarf besteht aber zugleich auch mit Blick auf die Bedeutung Chinas im Flugzeuggeschäft. Peking baut geflissentlich etwas auf. Das sollte man nicht unterschätzen. Diesen Fehler hatten die Amerikaner zuvor in Bezug auf Airbus gemacht. Die Rechnung für ihre damalige Lässigkeit bekommen sie heute präsentiert.