Schlüsseltechnologien

Zankapfel Patentrecht

Die wachsende Vernetzung von Maschinen und Produkten macht eine faire und transparente Lizenzierung von Patenten dringend notwendig.

Zankapfel Patentrecht

Der schlagzeilenträchtige Vorschlag, die Bekämpfung der Corona-Pandemie mit einer temporären Aussetzung des Patentschutzes für die entwickelten Impfstoffe zu erleichtern, hat die Bedeutung des geistigen Eigentums an Schlüsseltechnologien für Wirtschaft und Gesellschaft ins Rampenlicht gerückt. Dabei stellt der Spagat zwischen Anreiz zu Innovation und Investition durch attraktive Monetarisierungsmöglichkeiten für den Erfinder und einer breiten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Teilhabe an neu entwickelten Produkten und Diensten eine besondere Herausforderung an die gesetzliche Regulierung dar. Dies zeigt sich aktuell nicht nur mit Blick auf den Gesundheitssektor, sondern auch auf Schlüsselerfindungen, die für die wachsende digitale Vernetzung von Produkten und Maschinen eine zentrale Rolle spielen, wie Chip- oder Mobilfunktechnologien.

Beides wird hierzulande in den Leitbranchen Automobilindustrie und Maschinenbau in wachsendem Maße eingesetzt und hat bereits eine ganze Reihe von Patentrechtsstreitigkeiten zur Folge gehabt. Breite Wellen geschlagen hat dabei jüngst ein Vergleich zwischen Daimler und Nokia über die Lizenzierung von Mobilfunkpatenten, die in vernetzten Autos Anwendung finden. Der Fall berührt sogenannte Standardessenzielle Patente (SEP), für die in der EU bereits ein besonderes Regelwerk für die „faire und diskriminierungsfreie“ Lizenzvergabe (Frand) gilt. Damit greift für die Lizenzierung dieser Technologien nicht nur das Patent-, sondern auch das Kartellrecht, um einen breiten Zugang unter Wahrung des fairen Wettbewerbs zu gewährleisten. Jedoch hat die Einigung zwischen den beiden Konzernen gezeigt, dass in diesem Bereich trotz Frand noch zahlreiche Fragen offen sind, die sowohl die Automobilhersteller als auch die Zulieferer betreffen.

So sollte es aus Sicht der Lizenznehmer nicht im Belieben des Lizenzgebers stehen, zu entscheiden, an welchem Punkt der Wertschöpfungskette er Lizenzgebühren erhebt. Die Entscheidung von Nokia, das Auto als fertiges Gesamtkunstwerk zum Gegenstand von Lizenzberechnungen zu machen, erleichtert dem finnischen Konzern das Verfahren erheblich. Demgegenüber bleibt es dem Automobilhersteller überlassen, sich in aufwendigen Einzelverhandlungen mit den Zulieferern über die jeweils in ihren Komponenten berührten Patente und die dafür fälligen Gebührenanteile zu einigen. Die Zulieferer, denen dieser Aufwand ebenfalls lästig ist, fürchten überdies im Ergebnis eine Verteuerung der Lizenzkosten. Die Befürchtungen kommen nicht von ungefähr, denn der Begriff der Fairness im Vergaberegelwerk ist hinreichend schwammig, um die Gebührenpraxis der Lizenzgeber nicht zu sehr einzuengen. Dass es im Patentgeschäft nicht um Kleinigkeiten geht, hat nicht nur der eine oder andere sub­stanzielle Ausfall – oder eine Nachzahlung – im Rechenwerk von Rechteinhabern schon gezeigt. Auch die dem Vernehmen nach milliardenschwere Sicherheitsleistung, die Nokia im Patentstreit mit Daimler hinterlegt hatte, um im Falle einer Niederlage vor Gericht Schaden bei Daimler auszugleichen, wirft ein bezeichnendes Licht auf die wirtschaftliche Bedeutung der strittigen Patente. Dies erscheint umso schwerwiegender, wenn man bedenkt, dass die Bedeutung von Konnektivität im Automobilbereich stetig steigt und dass der kürzlich erzielte Vergleich den 5G-Standard noch gar nicht berührt. Darauf wird die Industrie künftig sowohl in der Produktion als auch für den Quantensprung zum autonomen Fahren verstärkt zurückgreifen müssen, so dass hier von den Patentrechtsinhabern noch ganz andere Summen aufgerufen werden dürften. Wenig überraschend haben Daimler und Continental ihre Beschwerden über die Lizenzierungspraxis auch der EU-Kommission vorgetragen.

Zusätzliche Brisanz erhält die Patentschutzdiskussion bei Mobilfunktechnologien auch durch die im vergangenen Jahrzehnt erfolgte Konsolidierung der Branche. Strukturelle Umbrüche des Sektors und zahlreiche Übernahmen haben dazu geführt, dass gerade essenzielle Patente in wenigen Händen konzentriert sind. So verfügen die überlebenden Platzhirsche der neusortierten Ausrüsterbranche Nokia und Ericsson über ein Rechteportfolio, dessen Reichweite die neue Generation der Smartphonehersteller in den vergangenen Jahren schon eindrucksvoll zu spüren bekommen hat. Mit der wachsenden Verbreitung von 5G-Netztechnik wird die industrielle Zielgruppe für die beiden skandinavischen Konzerne und einige wenige andere Player nochmals größer. Die Präzisierung fairer Lizenzierungsregeln ist umso dringlicher.