Zensursulas Bescherung
Unterm Strich
Zensursulas Bescherung
Von Claus Döring
Das neue EU-Medienfreiheitsgesetz ist ein Angriff auf die Pressefreiheit und ein weiteres Negativbeispiel für Brüsseler Regulierungsvorhaben.
Standortattraktivität und Lebensqualität und damit auch die Rahmenbedingungen für Investitionsentscheidungen definieren sich nicht allein durch ökonomische Daten. Auch politische Rahmenbedingungen, insbesondere Freiheitsrechte, haben Einfluss. Auf Anhieb mögen einem da Länder wie China, die Türkei oder auch Ungarn in den Sinn kommen. Doch die Hand, deren Zeigefinger auf andere deutet, richtet einige Finger auch auf sich selbst. Zu Recht. Denn aus dem soeben vom Institut für Demoskopie Allensbach veröffentlichten „Freiheitsindex“ geht hervor, dass die Meinungsfreiheit in Deutschland aus Sicht der Befragten auf den tiefsten Wert seit Beginn der Erhebung im Jahr 1953 gefallen ist. Nur noch 40 % haben das Gefühl, ihre Meinung frei äußern zu können – und dies, obwohl Meinungsfreiheit im Grundgesetz verankert ist.
Seit dem Fall der Mauer vor 33 Jahren ging es mit der gefühlten Meinungsfreiheit von damals 78% stetig bergab. Wenig verwunderlich ist, dass die größte Einschränkung ihrer Meinungsfreiheit Anhänger der AfD empfinden (62%), gefolgt von FDP (57%), SPD (46%) und CDU (43%). Unter den Grünen-Anhängern sind es dagegen nur 19%, die sich in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt fühlen, während 75% der Grünen-Wähler angeben, man könne seine Meinung frei äußern. Großen Einfluss auf das Studienergebnis habe das Medienklima, stellen die Autoren der Studie fest und nennen als Hauptquelle der Mediennutzung der Befragten die öffentlich-rechtlichen TV- und Radiosender. Damit bestätigt sich die schon länger von unabhängigen Journalisten und Medienkritikern vertretene These einer grünen Linkslastigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien und eines dort dominierenden Journalismus, bei dem „Haltung“ mehr gelte als Fakten und Aufklärung.
Kommt da nicht das europäische „Medienfreiheitsgesetz“ (European Media Freedom Act, EMFA) wie gerufen? Mitte Dezember hatten sich EU-Kommission, Parlament und Mitgliedstaaten nach langer Kontroverse im Trilogverfahren schließlich darauf geeinigt, eine Aufsichtsbehörde („Europäischer Medienrat“) für den Schutz der Pressefreiheit zu gründen. Angesiedelt bei der EU-Kommission und auch von ihr finanziert. Initiiert vor zwei Jahren, um in autoritär abdriftenden EU-Mitgliedstaaten wie Ungarn und Polen die Pressefreiheit zu verteidigen, droht nun eine EU-weite Regulierung auch jener Länder, die bisher keine staatliche Medienaufsicht brauchten und kannten. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen macht nun ihrem einst von der Internet-Community verliehenen Spitznamen „Zensursula“ alle Ehre. Nicht nur der Bundesverband der Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) und der Medienverband der freien Presse (MVFP) kritisieren, dass das neue Gesetz „gleich mehrfach“ mit Grundsätzen der Pressefreiheit breche und den Verlagen das Recht nehme, über redaktionelle Inhalte zu entscheiden. Auch Journalisten und ihre Verbände monieren, dass dadurch die funktionierende nationale Selbstregulierung mit Presserat und Rundfunkgremien ausgehöhlt werde.
Schlimmer noch: Unter dem Deckmantel des Schutzes der Pressefreiheit werde mit dem neuen EU-Gesetz Digitalplattformen die Zensur erlaubt. Die digitalen Torwächter der Medienwelt können – bei sogenannten „anerkannten“ Medien erst nach einer Schonfrist – Inhalte nach Belieben löschen. Umgekehrt will die neue Aufsicht insbesondere Nicht-EU-Medien (also die großen Social-Media-Plattformen) zensieren, wenn sie eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen. Solche vagen Formulierungen sind das Einfallstor für Beschränkungen der Meinungsfreiheit durch die jeweils Regierenden und für Regulierung nach Belieben. Die Ankündigung der Kommission, der neue Medienrat werde Leitlinien zur Medienregulierung ausarbeiten, verheißt deshalb nichts Gutes. Nur die öffentlich-rechtlichen Medien in den Mitgliedsländern dürfen sich freuen: Ihnen soll laut EU-Gesetz eine „angemessene, nachhaltige und berechenbare Finanzierung“ gesichert werden.