Zinsanlagen kehren als Verkaufsschlager zurück
Zinsanlagen kehren als Verkaufsschlager zurück
Nach der Zinswende fließen etliche Milliarden in Festgeld und Anlagezertifikate – Doch nicht überall kommt der Boom an
Von Jan Schrader, Frankfurt
Um die Folgen des Zinsanstiegs zu beschreiben, greift die Finanzbranche zu teils hochtrabenden Worten: Eine „Zeitenwende im Sparverhalten“ sieht das Zinsportal Weltsparen für Festgeldangebote, eine „Renaissance“ machen die Landesbausparkassen bei sich aus, der Deutsche Derivate Verband (DDV) sieht immerhin „sehr attraktive Konditionen“ für Zinsprodukte. Die Branche hat Gründe dafür, beeindruckt zu sein. Denn nach der abrupten Zinswende passen die Menschen in Deutschland ihr Verhalten rasch an.
Allein für Termineinlagen, also vor allem Festgeld, registriert die Deutsche Bundesbank einen Rekordwert: Annähernd 28 Mrd. Euro legten private Sparer in Deutschland im Schlussquartal 2022 in dieser Kategorie neu an und damit mehr als im Schlussquartal des Boomjahres 2008. Damit entdecken viele Menschen ein Produkt neu, das sie im Tiefzinsumfeld über viele Jahre nahezu ignorierten. In die Kategorie des Bargelds und der Sichteinlagen floss mit annähernd 11 Mrd. Euro nur vergleichsweise wenig Geld.
Hohe Angebotszinsen machen den Wandel möglich: Im vergangenen Jahr kletterten die Zinsen für Festgeldangebote mit einer Laufzeit von zwei Jahren von durchschnittlich weniger als 0,2% auf annähernd 2,0%, wie das Finanzportal FMH aufzählt. Aktuell liegt der Durchschnitt auf Grundlage von 83 Instituten bei 2,3%, wobei die Spanne von 0,0% bis 3,6% reicht. Die Sparer reagierten rasch: Bis August des vergangenen Jahres steuerten sie kaum Geld in Festgeldprodukten bei, danach folgte eine „drastische Kehrtwende“, wie das Portal Weltsparen weiter analysiert.
Drastisch ist auch die Verschiebung im Geschäft mit Zertifikaten. In den zwölf Monaten bis Ende Februar 2023 wuchs der Bestand der direkt erfassten Anbieter um 20 Mrd. Euro auf 84 Mrd. Euro, wie der Branchenverband DDV weiter berichtet. Zu welchem Anteil der Zuwachs auf Neugeschäft beruht und welche Rolle Wertzuwächse spielen, bleibt in der Statistik zwar unklar. Aber laut Bundesbank schossen die Zuflüsse in Schuldverschreibungen, zu denen auch Zertifikate zählen, gegen Ende vergangenen Jahres durch die Decke (siehe Grafik). Die „außergewöhnliche Höhe“ der Zuflüsse will die Bundesbank vor dem „Hintergrund gestiegener Zinsen” verstanden wissen.
Tatsächlich boomen in der Zertifikatebranche, die von DekaBank, DZ Bank und LBBW angeführt wird, vor allem Zinsprodukte. Stufenzinsanleihen und Festzinsanleihen prägen das Bild, aber auch Partizipationsanleihen, die sich an einem Basiswert ausrichten und zugleich einen Schutz des Kapitals in Aussicht stellen. Banken und Sparkassen verkaufen die Produkte derzeit rege. Bereits im Dezember führten die Produktanbieter in einer Umfrage des Branchenverbands DDV Zinsen am häufigsten als Treiber des Geschäfts an und erwarteten besonders häufig ein reges Geschäft mit „strukturierten Anleihen“, also verzinsten Produkten. Laut Verband bringen allein strukturierte Anleihen per Ende Februar diesen Jahres bereits 33 Mrd. Euro auf die Waage und liegen somit um 15 Mrd. Euro über dem Vorjahreswert.
Große Unterschiede gibt es bisher noch in der Laufzeit: Während Festgeldangebote meistens nicht mehr als zwei Jahre vorsehen, variieren die Laufzeiten von Zinszertifikaten stärker und reichen typischerweise von sechs Monaten bis sechs Jahren. Weltsparen-Managerin Katharina Lüth vermutet, dass Festgeldanleger weiterhin flexibel bleiben wollten oder aber mit weiter steigenden Zinsen rechneten. Zertifikate hingegen kämen in der langfristig orientierten Anlageberatung zum Einsatz, doch die Sparer fragten zum Teil auch hier kurze Laufzeiten nach, sagt DDV-Geschäftsführer Christian Vollmuth.
Wende? Nicht überall!
Während die Zinswende Festgeld und Zinszertifikaten einen Boom beschert, zeigt sie sich in anderen Produktkategorien weniger deutlich. So sind einzelne Unternehmensanleihen für private Anleger wegen der oft hohen Stückelung von 100.000 Euro schwer zugänglich. Bonitätsabhängige Schuldverschreibungen wiederum, die zum Segment der Zertifikate gehören und sich auf Anleihen beziehen, kommen ebenfalls nicht in Schwung. Vor einigen Jahren hatte die Finanzaufsicht BaFin die Zertifikatebranche zu weitreichenden Einschränkungen für den Vertrieb der Papiere gedrängt.
Die vielfach gescholtenen Riester-Verträge, die im Tiefzinsumfeld wegen der starren Beitragsgarantie unattraktiv erschienen, sind auch nach der Zinswende kein Verkaufsschlager. So sank die Zahl der Verträge im vergangenen Jahr nach Daten des Bundesarbeitsministeriums um 2% auf 15,9 Millionen. Auch im Schlussquartal ging es für die staatlich geförderte private Altersvorsorge bergab.
Bausparkassen berichten über eine stark steigende Zahl an Neuverträgen und Vertragsvolumen – die Anleger sichern sich damit häufig für eine spätere Immobilienfinanzierung gegen noch weiter steigende Zinsen ab. Doch der tatsächlich erfasste Spargeldzugang blieb branchenweit mit 27,5 Mrd. Euro im vergangenen Jahr unverändert, wie ein Sprecher des Verbands der privaten Bausparkassen mitteilt und dabei auch die Daten der Landesbausparkassen einschließt. Wichtiger als das Geld aus neuen Verträgen sind die Beiträge aus dem Bestand, so dass sich die Zuflüsse der Bausparkassen nur allmählich anpassen.
Auch der Gesamtbestand der Geldvermögen ändert sich nur allmählich: 7.254 Mrd. Euro besaßen die privaten Haushalte in Deutschland zum Jahresende, wie die Bundesbank festhält. Das sind pro Nase etwa 86.000 Euro. Sichteinlagen, also jederzeit verfügbare Geldbestände, prägen mit 1.812 Mrd. Euro das Bild wesentlich, während die nun wieder so gefragten Termineinlagen auf lediglich 330 Mrd. Euro kommen. Der Zertifikatebestand ist derweil vom Niveau vor der weltweiten Finanzkrise 2008 weit entfernt. Es gibt also hier wie dort Luft nach oben.
Zinsproduktanbieter könnten nun ähnliche Erfahrungen sammeln wie zuletzt die Fondsbranche, die über Jahre von den Tiefzinsen profitierte. Doch erst vergleichsweise spät, nämlich im Jahr 2021, erreichte die Branche mit netto 105 Mrd. Euro ihren bisherigen Rekordwert im Geschäft mit den privaten Haushalten, wie die Bundesbank berichtet. Nun aber haben die Zinsprodukte die besten Jahre vermutlich noch vor sich.