LEITARTIKEL

Zu kurz gesprungen

Es ist ein Horrorszenario, das VW-Vorstandschef Herbert Diess an die Wand malt. Die Chance, dass die deutschen Autohersteller auch in zehn Jahren noch zur Weltspitze gehörten, liege aus seiner heutigen Sicht bei 50:50, sagte er im Oktober. Im...

Zu kurz gesprungen

Es ist ein Horrorszenario, das VW-Vorstandschef Herbert Diess an die Wand malt. Die Chance, dass die deutschen Autohersteller auch in zehn Jahren noch zur Weltspitze gehörten, liege aus seiner heutigen Sicht bei 50:50, sagte er im Oktober. Im November forderte er dann stärkere politische Unterstützung der Autoindustrie in Deutschland auf technologischer Ebene. Hier seien zwar die Standortbedingungen gut, die Hersteller würden aber nicht ausreichend gefördert. So, schlussfolgerte Diess, könne man angesichts der technologischen Transformation der Branche nicht mit Wettbewerbern in den USA oder China mithalten.Nun kündigten die US-Hersteller General Motors und Ford vor wenigen Tagen teilweise drastische Einschnitte an. GM schließt 2019 mindestens fünf Werke und streicht rund 14 000 Stellen und damit 15 % der festen Angestellten in Nordamerika. Darunter 8 000 Jobs in der Entwicklung und anderen produktionsfernen Bereichen. Gleichzeitig werden mehrere Limousinen-Modelle gestrichen, die sich angesichts der hohen Nachfrage nach Light Trucks und Sport Utility Vehicles auf dem US-Markt nicht mehr lohnten. Der Konkurrent Ford will seine US-Werke umrüsten, um Kosten zu senken und die Produktion großer SUVs zu steigern. Beide Konzerne wollen sich so für die Zukunft aufstellen und Mittel für Investitionen in Elektromobilität und autonome Autos freischaufeln.Die Krise der US-Autobauer zeigt: So schlecht wie gemeinhin unterstellt stehen die deutschen Hersteller im Wettrennen um die Zukunft offenbar nicht da. Trotz des Abgasskandals, des anschließenden Einbruchs der Diesel-Nachfrage oder der Belastungen aus der viel zu langsam erfolgten Umstellung auf den neuen Prüfzyklus WLTP kamen die hiesigen Hersteller, wie auch die Japaner, bisher mit einem blauen Auge in Form von Gewinnwarnungen davon. Sie investieren seit Jahren, teilweise durch die Finanzkrise hindurch, in ihre globalen Produktionsnetzwerke und haben Plattformen und Baukastensysteme geschaffen, die sie effizienter fertigen lassen. Nun erweitern sie ihre Werke und Plattformen, um alternativ betriebene Autos integrieren zu können. So wollen sie sicherstellen, dass sie auch künftig in unterschiedlichen Regionen auf Nachfrageschwankungen und schnell wechselnde Präferenzen bei Modellen und Antrieben reagieren können. Die Einschnitte bei GM und Ford zeigen, wie wichtig diese Kombination aus langfristiger Planung und flexiblen Handlungsmöglichkeiten ist.Wie sehr die US-Konzerne weiterhin in einem starken Quartalsdenken verhaftet sind, drückt sich in der Abkehr von Limousinen aus. Noch ist die Nachfrage nach großen Spritfressern, speziell in den USA, immens. Doch fast überall auf der Welt dringen Regierungen auf umweltfreundlichere Fahrzeuge und immer mehr Großstädte müssen oder wollen Fahrverbote für Diesel – und auf Sicht auch für Verbrenner – einführen. Vor dem Hintergrund ist fraglich, wie lange sich der SUV-Boom in die Zukunft fortschreiben lässt.Die deutschen Konzerne haben sich von diesem Quartalsdenken ein Stück weit entfernt. Auch Daimler hätte beispielsweise die A-Klasse vor Jahren als Ladenhüter beerdigen können. Sie wurde stattdessen modernisiert und an jüngere Kunden angepasst. Nun wird sie, in der Elektroversion, wohl als zweites reines E-Auto des Konzerns auf den Markt kommen. In China, dem führenden Markt für Elektromobilität, sind kleine E-Autos mit einer relativ überschaubaren Reichweite ein Bestseller.GM und Ford zeigen aber auch, wie schnell politische Unterstützung zum Boomerang werden kann. US-Präsident Donald Trump legte sich unter anderem durch hohe Zölle auf von dort importierten Stahl und Aluminium mit China an. Die Retourkutsche folgte in Form von höheren Einfuhrzöllen auf Autos aus US-Produktion. GM rechnet im laufenden Jahr mit Mehrkosten von 1 Mrd. Dollar durch die Stahl- und Aluminiumzölle. Und neben den deutschen sind auch die US-Hersteller von den chinesischen Einfuhrzöllen auf US-Autos betroffen. Der Handelsstreit hat die Unsicherheit bei den Kunden erhöht, wodurch der US-Automarkt zuletzt zusätzlich geschwächt wurde.GM werden vor allem die Einschnitte in Forschung und Entwicklung schmerzen. Damit setzt der Konzern die Axt ausgerechnet dort an, wo sich entscheiden wird, ob der US-Autobauer auch in 20 Jahren noch konkurrenzfähig ist. Denn sowohl die deutschen als auch die asiatischen Hersteller stocken die Investitionen in diesen Bereich seit Jahren kontinuierlich auf.—–Von Isabel GomezDie Krise der US-Autobauer zeigt: So schlecht wie gemeinhin unterstellt stehen die deutschen Hersteller im Wettrennen um die Zukunft offenbar nicht da.—–