Zurich-Chef Mario Greco genießt die Schussfahrt
Von Daniel Zulauf, Zürich
Zurich-Chef Mario Greco ist ein passionierter Radfahrer. Der Neapolitaner, der vielleicht bald einmal Schweizer wird, fährt zwar am liebsten die steilen Berge hoch. Aber als Lohn für den harten Aufstieg genießt er die schnelle Schussfahrt. So ähnlich muss sich der 62-Jährige derzeit auch bei der Arbeit fühlen. Die Zurich kommt so schnell voran wie seit Jahren nicht mehr. Als weltweit drittgrößter KMU-Versicherer profitiert der Konzern von einem überaus günstigen Umfeld. In den USA steigen die Preise schon seit einiger Zeit im zweistelligen Prozentbereich. Und auch in Europa herrscht ein gutes Klima. Mit den Problemen vieler lokaler Versicherer, die ihren Firmenkunden in der Vergangenheit allzu leichtfertig Pandemiedeckungen verkauft hatten, müssen sich die großen Anbieter im Markt generell weniger herumschlagen. Auch die Zurich war als globale Akteurin vorsichtig genug.
Am 10. Februar präsentiert Zurich die Jahreszahlen. Der Markt rechnet mit einer kombinierten Schaden-Kosten-Quote von deutlich unter 95 %. Nach einem intensiven Schadenjahr mit Winterstürmen, Überschwemmungen, einem schweren Hurrikan in den USA und der fortgesetzten Corona-Pandemie ist das keine Selbstverständlichkeit. Das Katastrophenmanagement ist nur ein Beispiel, das zeigt, wie es Greco und seinem Management in den vergangen gelungen ist, Vertrauen aufzubauen. Die Zurich, so die Erwartung der Investoren, sollte weiter vom günstigen Geschäftsumfeld profitieren können.
Derweil rechnen die Anleger für das zurückliegende Jahr mit einem Spitzenergebnis. Der Analystenkonsens geht von einem Nettoergebnis von um die 4,4 Mrd. Dollar aus. Es wäre das beste Resultat in Grecos Amtszeit, die Anfang 2016 begonnen hatte.
Damals befand sich die Zurich in einer schwierigen Lage. Risiken im amerikanischen Schaden- und Haftpflichtgeschäft, die in früheren Jahren zu großzügig und gegen allzu schlechte Bedingungen gezeichnet worden waren, machten sich plötzlich prominent in der Schadensbilanz bemerkbar. Gleichzeitig trat ein Kostenproblem zu Tage, das sich im Lauf vieler Jahre aufgebaut hatte: Wenig Prämienwachstum und ein stetiger Kostenanstieg führten dazu, dass die Quote, die vor der Finanzkrise bei 13 % gelegen hatte, plötzlich auf 17 % angestiegen war (siehe Grafik).
Hinter den miserablen Zahlen verbarg sich ein tief gehendes Führungsproblem, das nach der Entlassung des CEO im Herbst 2015 und der interimistischen Übernahme der Führungsverantwortung durch den Verwaltungsratspräsidenten Tom de Swaan vollständig eskalierte. Statt den Ball flach zu halten, kündigte der Niederländer im Frühjahr 2016 die Entlassung von 8 000 der damals 55 000 Angestellten an. Damit rief der frühere Banker die Angestelltenvertreter auf den Plan. Es kam zum offenen Streit zwischen der Basis und Management.
Greco, der schon früher für die Zurich tätig war, dann aber als CEO zu Generali ging, wurde bei seiner Rückkehr mit offenen Armen empfangen. Er realisierte rasch, wo es in dem heillos bürokratisierten Konzern die Schrauben neu zu stellen galt: Dezentralisierung, mehr Entscheidungsautonomie in den Ländern, strategische Prioritäten und organisatorische Veränderungen zeigten ebenso rasch ihre positive Wirkung wie die Maßnahmen zur Bereinigung des Geschäftsportfolios.
Das Fitnessprogramm, das der Italiener dem Flaggschiff der Schweizer Assekuranz verordnet hatte, macht sich inzwischen für Mitarbeitende wie auch für die Aktionäre bezahlt. Erstere konnten zum großen Teil ihre Jobs behalten, und Letztere haben fast 500 Mill. sfr mehr Dividenden erhalten. Im Fünfjahresvergleich liegen die Zurich-Aktien mit einer Gesamtrendite einschließlich Dividenden von rund 125 % weit über dem europäischen Durchschnitt.
Im zyklischen Versicherungsgeschäft wechseln sich gute und weniger gute Zeiten in regelmäßiger Folge ab. Auch Greco weiß, dass seine Erfolgssträhne nicht ewig dauert. Umso höher ist ihm anzurechnen, dass er den aktuellen Erfolg nicht mit allen Mitteln zu maximieren sucht. Die ganz großen Übernahmen sind nicht sein Ding. Gezielte Einkäufe zur Stärkung spezifischer Positionen schon eher. Die Übernahme des US-Schaden- und Unfallgeschäfts von Metlife im Dezember 2020 war so eine Transaktion. Greco stemmte den knapp 4 Mrd. Dollar teuren Einkauf zusammen mit Farmers Exchanges. Die Zurich verwaltetet den genossenschaftlichen Versicherungspool und bezieht dafür Jahr für Jahr ein Viertel des operativen Gewinns.
Kapital freisetzen
Um weiteres Wachstum finanzieren zu können, benötigt die Zurich entweder mehr frisches Kapital oder sie muss kapitalbindende Verpflichtungen in ihrer Bilanz loswerden. Greco zielt auf letzteres. Eben erst hat er ein italienisches Leben-Portefeuille mit Zinsgarantieverpflichtungen an Private-Equity-Investoren von Apax abgestoßen, damit zwar einen happigen Verlust erlitten, aber auch 1,2 Mrd. Dollar regulatorisches Solvenzkapital freigesetzt. Ähnliche Pläne gibt es auch für den deutlich größeren deutschen Herold, den die Zurich vor 20 Jahren im Rahmen eines Tauschgeschäftes von der Deutschen Bank übernommen hatte.