Notiert inBrüssel

Zweiter Teil von Vestagers Personalposse

Raffinierte Retourkutsche von Margrethe Vestager, Machtspielchen von Thierry Breton und Frans Timmermans auf der Flucht vor Volker Wissing: Die Brüsseler Sommerpause bietet Stoff für Unterhaltung.

Zweiter Teil von Vestagers Personalposse

Notiert in Brüssel

Personalposse, Teil zwei

Von Stefan Reccius

Diese Posse kommt gerade recht, damit in der Sommerpause für genügend Unterhaltung im politischen Brüssel gesorgt ist. Eigentlich sollte die Amerikanerin Fiona Scott Morton eine Schlüsselposition in der Abteilung von EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager übernehmen. Eine EU-Spitzenbeamtin aus den USA? Das passte nicht jedem, vor allem nicht den Franzosen. Scott Morton sah sich gezwungen, ihre Bewerbung zurückzuziehen.

Nun gibt es einen neuen heißen Kandidaten für die Stelle. Der Mann heißt Florian Ederer, kommt aus Österreich und hat – kein Scherz – ebenfalls einen amerikanischen Pass. Seine akademischen Meriten hat Ederer sich nämlich in den Vereinigten Staaten erworben. Nach Stationen in Los Angeles und Yale ist er Professor in Boston geworden – und hat sich einbürgern lassen.

Vestager handelt sich wegen der Herkunft ihrer Wunschkandidatin eine Abfuhr ein und schlägt als Ersatz wieder jemanden mit US-Staatsbürgerschaft vor? Ein Schelm, wer dahinter eine raffinierte Retourkutsche der Dänin vermutet. Getreu dem Motto: Wenn ich einen Amerikaner für den Job will, bekomme ich einen Amerikaner.

Zuzutrauen wäre solche Chuzpe Vestager. Jedenfalls eilt ihr der Ruf voraus, als Wettbewerbskommissarin keiner Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen. Mit Vorliebe hat sie sich mit Google und anderen US-Konzernen angelegt. Dass ihre Behörde vor Gericht in Luxemburg einen eher durchwachsenen track record hat, ficht Vestager nicht an: Kürzlich drohte sie Google, das Werbegeschäft zu zerschlagen.

Nun soll also Florian Ederer aus Boston nach Brüssel ziehen, um anstelle der verhinderten Fiona Scott Morton die EU-Kommission in solchen Kartellfällen zu beraten. Werbung in eigener Sache macht der Professor auf seine Art: Er kokettiert damit, die Mauer von Geraardsbergen, den Koppenberg und die Côte de La Redoute bezwungen zu haben, steile Erhebungen in Flandern und den Ardennen, die unter Radsportlern berüchtigt sind. Allein wegen solcher Leistungen auf dem Rad könne er auf Unterstützung aus Belgien zählen, frotzelt Ederer.

Humor und Schlagfertigkeit demonstriert der Mann aus Boston damit ebenso wie ein Gespür, dass über politisch sensible Ämter nicht notwendigerweise fachliche Qualifikation entscheidet. Sonst hätte Fiona Scott Morton die Stelle wohl längst. Gegen ihre Berufung soll in der EU-Kommission vor allem Thierry Breton Stimmung gemacht haben. Dem Industriekommissar aus Frankreich werden Ambitionen auf Ursula von der Leyens Stelle nachgesagt: Breton würde gerne Chef der EU-Kommission. Da gehören Machtspielchen zum Repertoire.

Nicht nur Breton bringt sich für den nächsten Karriereschritt in Stellung. Vestager hat es auf die Spitze der Europäischen Investitionsbank (EIB) abgesehen, weshalb ihr die Personalposse um den Posten des Chefvolkswirts in ihrer Generaldirektion wenig anhaben dürfte. Auch Kommissionskollege Frans Timmermans ist auf dem Absprung: Der niederländische Sozialdemokrat will Regierungschef in seiner Heimat werden.

Behauptet er zumindest. Plausibler ist, dass Timmermans vor Volker Wissing flüchtet. Der Verkehrsminister hat den Architekten des Klimaschutzprogramms Green Deal monatelang mit seiner penetranten Forderung nach einer Ausnahme für E-Fuels genervt. Nun schuldet Timmermans Wissing, dem Retter des Verbrenners, ein Gesetz zum unbefristeten Einsatz synthetischer Kraftstoffe.

Vorschlag zur Güte: Volker Wissing schwingt sich in seiner Pfälzer Heimat aufs E-Bike und radelt über die Mauer von Geraardsbergen, den Koppenberg und die Côte de La Redoute nach Brüssel, um die Sache mit den E-Fuels zu erledigen. Präsident der Europäischen Investitionsbank wird anstelle Vestagers Thierry Breton, als Geste des guten Willens nimmt der Franzose Fiona Scott Morton als Chefökonomin mit nach Luxemburg. Und Margrethe Vestager bekommt von der Universität Boston die Google-Ehrendoktorwürde für angewandte Anti-Trust-Verfahren, natürlich inklusive amerikanischen Passes.

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