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Finanzinvestoren setzen auf Digitalisierung von Krankenhäusern

Die Digitalisierung deutscher Krankenhäuser kommt wegen fehlender Mittel oft nur schleppend voran. Für Anbieter sogenannter Krankenhausinformationssysteme stehen die Zeichen laut Beobachtern dennoch auf Wachstum. Das Potenzial ist auch ausländischen Investoren nicht entgangen.

Finanzinvestoren setzen auf Digitalisierung von Krankenhäusern

Investoren setzen auf Digitalisierung von Kliniken

Hersteller von Krankenhausinformationssystemen profitieren von SAP-Rückzug und politischer Förderung – Zwei große Anbieter stehen vor Delisting

Die Digitalisierung deutscher Krankenhäuser kommt wegen fehlender Mittel oft nur schleppend voran. Für Anbieter sogenannter Krankenhausinformationssysteme stehen die Zeichen laut Beobachtern dennoch auf Wachstum. Das Potenzial ist auch ausländischen Investoren nicht entgangen.

Von Karolin Rothbart, Frankfurt

Krankenhausinformationssysteme (KIS) sind das digitale Herzstück einer jeden Klinik. Verschiedene Anwendungen zur Patientendatenverarbeitung sowie zur Abrechnung von Leistungen fließen zentral dort ein. Die Produkte lassen sich somit auch als Betriebssystem von Krankenhäusern beschreiben.

Der Markt galt lange Zeit als relativ unbewegt. Nicht nur haben viele Krankenhäuser ihre KIS wegen des hohen technischen und finanziellen Aufwands in der Vergangenheit eher ungern ausgetauscht. Die Liste der Anbieter solcher Systeme ist in Deutschland auch überschaubar – und mit dem Ausstieg von SAP im Jahr 2022 nochmal kürzer geworden: Von den heimischen Wettbewerbern dominieren jetzt noch hauptsächlich die Compugroup, Meierhofer, Nexus, und die Telekom den Markt. Mit Dedalus ist zudem ein italienischer Anbieter mit im Rennen.

„Es ist ein sehr oligopolistischer Markt, auf dem primär Player vertreten sind, die ihre Systeme in den 1980er Jahren entwickelten“, sagt Hendrik Fröhling von Avelios Medical. Das Münchener Start-up ist 2020 gegründet worden, mit dem Ziel, ebendiesen Markt mit einem neuen KIS aufzumischen. „Die Entwicklung solcher umfassenden IT-Systeme für Krankenhäuser ist sehr komplex“, sagt Fröhling. Insofern hätten sich bislang nur wenige daran gewagt, „dieses dicke Brett zu bohren“. 

Ein Markt mit hohen Barrieren

Dass die KIS-Entwicklung so komplex und die Zahl der Anbieter dadurch so niedrig ist, liegt laut Experten zum einen daran, dass das deutsche Gesundheitssystem selbst so komplex ist. „Allein das Thema Patientenabrechnung ist eine Wissenschaft für sich, denn es gibt ja verschiedene Abrechnungsstandards für die ambulante, die stationäre, die private und die gesetzliche Versorgung“, sagt Florian Benthin, Partner bei EY Parthenon im Bereich Healthcare. Das deutsche Gesundheitswesen sei da schon „sehr speziell“ und die Markteintrittsbarriere allein deswegen ziemlich hoch. Hinzu komme die schwierige Kassenlage vieler Kliniken, die den deutschen Markt für potenzielle Neueinsteiger unattraktiv mache.

Es ist ein sehr oligopolistischer Markt, auf dem primär Player vertreten sind, die ihre Systeme in den 1980er Jahren entwickelten.

(Hendrik Fröhling, Avelios Medical)

Das Problem dürfte sich künftig noch verschärfen. In einer Umfrage der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft haben zuletzt fast 80% aller teilnehmenden Kliniken angegeben, für 2024 mit einem Verlust zu rechnen. Dem Verband zufolge fehlen deutschen Krankenhäusern derzeit rund 1,6 Mrd. Euro für die Digitalisierung. „Allein das ist noch eine zusätzliche Barriere für internationale Hersteller“, sagt Benthin. In anderen Ländern, beispielsweise in Dänemark, in den Niederlanden oder in der Schweiz, könnten die Hersteller ihre jeweiligen KIS-Lizenzen deutlich teurer verkaufen.

Versäumnisse in der Vergangenheit

Der Wettbewerbsdruck hielt sich in der Vergangenheit hierzulande also in Grenzen und damit auch der Innovationsdruck für die hiesigen Anbieter, wie Vincent von Uechtritz, Director bei Strategy& sagt. „Teilweise gab es hier sicherlich Versäumnisse“, so der Unternehmensberater. Über die Kernfunktionen von Krankenhausinformationssystemen hinaus – also die Erfassung und Aufnahme von Patientendaten und die Abrechnung von Leistungen – seien in den vergangenen Jahren nur wenige neue Funktionalitäten wie Patientenportale oder telemedizinische Tools zum traditionellen KIS hinzugekommen. Das habe letztlich auch an der Auftragslage gelegen, die trotz klammer Kassen bei den Krankenhäusern gut gewesen sei, sagt von Uechtritz. „Die großen Anbieter waren sehr beschäftigt.“

Das Start-up Avelios will nun aber neue Wege beschreiten. „Unsere Software ist entlang des Behandlungsprozesses aufgebaut – von der Terminbuchung bis hin zur Abrechnung“, erklärt Fröhling. „Damit unterscheiden wir uns von vielen der bestehenden Player, die ihre Systeme oft mit Fokus auf Abrechnungs- und Administrationsprozesse entwickelt haben.“ Mit der Software schaffe man „die Basis für die intelligente Patientenversorgung sowie für datengetriebene Forschung und Automatisierung, da sämtliche Daten bei uns entlang des Behandlungsprozesses konsequent strukturiert erfasst werden.“

Mit dem Ansatz konnte die Firma schon einige Kunden für sich gewinnen, darunter die Münchener Krankenhauskette Sana und das Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München. Insgesamt werde Avelios von einer „hohen zweistelligen Anzahl an Häusern“ genutzt, sagt Fröhling. Es sei gerade anfangs eine Herausforderung gewesen, in so einem sensiblen Bereich wie dem Krankenhausinformationssystem Vertrauen zu gewinnen. „Andererseits sind viele Kunden aber froh, dass wir als neuer Anbieter frischen Wind in die Branche bringen.“

Kunden begrüßen „frischen Wind“

Neben Kunden hat Avelios zuletzt auch den US-Startup-Investor Sequoia von sich überzeugt. In einer 30 Mill. Euro schweren Finanzierungsrunde sind die Amerikaner Anfang Februar bei den Münchnern eingestiegen. Es war einer von mehreren Private-Equity-Deals, zu denen es jüngst im deutschen KIS-Markt kam. So stieg der Luxemburger Finanzinvestor CVC im Dezember bei der Compugroup aus Koblenz ein. Im Januar übernahm zudem die US-amerikanische Private Equity Firma TA Associates den KIS-Anbieter Nexus aus Donaueschingen. Compugroup und Nexus sollen beide im Zuge der Deals von der Börse genommen werden. Für Strategy&-Experte von Uechtritz kommt das Investoreninteresse an den großen KIS-Herstellern nicht überraschend. „Natürlich waren Investoren auf dem Markt auch schon vorher aktiv, aber trotzdem stehen die Zeichen durch die SAP-Abkündigung jetzt erstmal auf Wachstum“, sagt er. Das KIS des Dax-Konzerns wurde vor allem von großen Kliniken mit umfangreichem Leistungsportfolio genutzt. Insgesamt mussten sich um die 300 Kunden neue Lösungen suchen. „Kein Anbieter kann diese Kunden alle gleichzeitig bedienen“, sagt von Uechtritz. “Da werden nun viele ein Stück vom Kuchen abbekommen.“

Streit um Charité-Ausschreibung

Als großes Kuchenstück gilt dieser Tage die Berliner Charité, die sich nach dem SAP-Rückzug ein neues KIS suchen muss und dafür zuletzt eine Ausschreibung mit einem Budget von rund 200 Mill. Euro gestartet hat. So viel Geld hat noch nie zuvor ein deutsches Krankenhaus für ein KIS in die Hand genommen. Die Vergabe hat bereits einen Rechtsstreit nach sich gezogen, in dem Dedalus der Charité vorwarf, die Ausschreibung für den US-Rivalen Epic zurechtgeschnitten zu haben. Die Charité wies dies zurück.

Der Markt ist in den vergangenen Jahren aber auch aus politischen Gründen in Bewegung gekommen. 2020 hatte der damalige Bundestag das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) verabschiedet, das die Digitalisierung in deutschen Kliniken vorantreiben soll. Bund und Länder hatten dafür 4,3 Mrd. Euro an Fördermitteln zur Verfügung gestellt. Das Gesetz habe “viele Krankenhäuser dazu bewogen, ihre IT-Systeme zu modernisieren und zu erweitern und den bisherigen Zoo an unterschiedlichen Programmen zu vereinheitlichen“, sagt EY-Experte Benthin. Das Gesetz sieht auch Sanktionszahlungen für Kliniken vor, die ihre KHZG-geförderten Digitalisierungsprojekte nicht rechtzeitig umsetzen. Bei Strategy& rechnet man allein deswegen mit steigenden KIS-Preisen.

Deutschland ist auch nicht das einzige Land, das die Digitalisierung von Krankenhäusern politisch vorantreibt. In Frankreich setze etwa das Programm „Ma Santé 2022“ und in der Schweiz das Programm „DigiSanté“ erhebliche Investitionsmittel in die Digitalisierung des Gesundheitswesens frei, heißt es im jüngsten Geschäftsbericht der Compugroup. Das Unternehmen rechnet für 2025 mit einem organischen Umsatzwachstum im niedrigen bis mittleren einstelligen Prozentbereich sowie mit einem leichten Wachstum des bereinigten Ebitda. Auch bei Nexus ist von leicht steigenden Umsätzen und einem leicht steigenden Vorsteuerergebnis für 2025 die Rede.

Investitionen zwingend nötig

Beide Unternehmen haben ihre Investitionen in die Produktentwicklung im vergangenen Jahr hochgefahren – ein Schritt, um den die traditionellen Anbieter dieser Tage auch nicht mehr herumkommen, wie Experte von Uechtritz sagt. „In der jetzigen Form können viele der Softwarelösungen nicht ewig bestehen. Von daher müssen die Investitionen auch in Zukunftstechnologien fließen.“

Wichtig sei etwa, dass die großen Anbieter die technischen Voraussetzungen schaffen, um die immer größere Anzahl an vernetzten Geräten in Krankenhäusern in ihren Systemen abzubilden. Durch die verstärkte Nutzung von rechenintensiven KI-Technologien, etwa in der Diagnostik, steigen viele Kliniken zudem verstärkt von hauseigenen Servern auf die Cloud um. Das erfordere auch bei den KIS-Anbietern eine Erneuerung der Systeme. Nicht zuletzt müssten die Hersteller auch noch stärker in den Cyberschutz investieren.