Bankenaufsicht

Andrea Enria wird 60

Als Andrea Enria Anfang vorvergangenen Jahres die Leitung der European Banking Authority (EBA) aufgab, um den Chefsessel der europäischen Bankenaufsicht zu übernehmen, hatte er keine Ahnung, was auf ihn zukommen würde: Die Reregulierung infolge...

Andrea Enria wird 60

Von Bernd Neubacher, Frankfurt

Als Andrea Enria Anfang vorvergangenen Jahres die Leitung der European Banking Authority (EBA) aufgab, um den Chefsessel der europäischen Bankenaufsicht zu übernehmen, hatte er keine Ahnung, was auf ihn zukommen würde: Die Reregulierung infolge der Finanzkrise näherte sich gerade ihrem Ende, und nach fünf Jahren Start-up-Phase schien der einheitliche Aufsichtsmechanismus SSM ruhigere Fahrwasser anzusteuern. In der Pandemie, welche UN-Generalsekretär António Guterres im März 2020 als die größte Krise der Menschheit seit dem Zweiten Weltkrieg bezeichnete, sollten Europas Bankenaufseher unter Vorsitz Enrias dann, wie die Fiskal- und Geldpolitik, so gut wie alle Register ziehen, um die Folgen von Sars-CoV-2 zu lindern.

Mitte März 2020 erlaubten sie den Großbanken Eurolands die Auflösung von Kapital- und Liquiditätspuffern, sie lockerten ihre Anforderungen an die Zusammensetzung des Kernkapitals und signalisierten zudem bei der Umsetzung aufsichtlicher Maßnahmen Entgegenkommen. Zudem verschoben EBA und EZB den für 2020 geplanten Stresstest.

Zugleich verhängte die Aufsicht ein Moratorium über Dividendenzahlungen, das sie Mitte Dezember im Prinzip bis Ende September dieses Jahres verlängern sollte. „Es war eine schwierige Entscheidung“, sagte Enria der Börsen-Zeitung zum Jahresende. „Im Aufsichtsgremium gab es unterschiedliche Ansichten. Der Druck von Banken und Investoren war immens und die Unsicherheit noch immer groß.“

Erst am Donnerstag der abgelaufenen Woche signalisierte Eurolands oberster Bankenaufseher, dass Europas Banken ab Oktober wieder uneingeschränkt ausschütten dürfen sollen – die schon für das vergangene Jahr befürchteten Verheerungen in den Bilanzen der Banken sind bis dato, dank vereinter Anstrengungen von Politik, Regulierung und Aufsicht, schließlich weitestgehend ausgeblieben. Enria wäre kein Aufseher, würde er dennoch nicht müde, vor Risiken zu warnen. Die Geldpolitik, unter demselben Dach praktiziert wie die Bankenaufsicht in Euroland, sorgt dafür, dass ihm die Themen nicht ausgehen. So hat er erst vor dem Wochenende wegen Überschwangs in den Märkten für Leveraged Finance und aktienbezogene Derivate Alarm geschlagen.

Den Verdacht, als Italiener könne er davor zurückschrecken, gegen seine Landsleute nötigenfalls durchzugreifen, musste er schon nicht mehr ausräumen, als der SSM in der Pandemie Forderungen italienischer Banken nach Lockerung der Vorgaben für faule Kredite ignorierte. Gleich nach Amtsantritt hatte er klare Kante gezeigt, als er die Genueser Banca Carige unter Zwangsverwaltung stellte. Er spreche lieber „unabhängig von Flaggen“ über Banken, sagt er.

Nach Abschlüssen an Mailands Bocconi-Universität sowie in Cambridge hatte der Ökonom seine Aufseher-Karriere in der Banca d’Italia begonnen. 1999 wechselte er zur EZB, 2004 als Generalsekretär zum Committee of European Banking Supervisors (CEBS), einem Vorläufer der Europäischen Bankenbehörde EBA. Deren Leitung hatte Enria nach einem Intermezzo bei Italiens Notenbank, als 2011 das CEBS in der EBA aufging, bis Ende 2018 übernommen. Am heutigen Samstag feiert er seinen 60. Geburtstag.