AstraZeneca-Chef Pascal Soriot fährt die Ernte ein
AstraZeneca-Chef Pascal Soriot fährt die Ernte ein
Von Andreas Hippin, London
Der AstraZeneca-Chef Pascal Soriot (64) wurde seit seinem Amtsantritt immer wieder heftig kritisiert – nun darf er sich bestätigt fühlen. Die jüngsten Geschäftszahlen geben ihm recht. Die FTSE-100-Gesellschaft erhöhte sowohl die Umsatz- als auch die Gewinnziele für das laufende Jahr. Damit gibt AstraZeneca ein völlig anderes Bild ab als der Rivale GlaxoSmithKline, dessen Chefin Emma Walmsley es nach der Ausgliederung des Consumer-Health-Geschäfts noch nicht gelungen ist, den alten Glanz wieder aufleben zu lassen.
Fettleibigkeit im Fokus
Zudem sicherte Soriot dem Unternehmen durch eine Lizenzvereinbarung mit der chinesischen Eccogene den Einstieg in das vielversprechende Geschäft mit dem Abnehmen. Auf diesem Markt haben derzeit Novo Nordisk (Wegovy) und Eli Lilly die Nase vorn. Doch das Präparat von Eccogene muss im Unterschied zu deren Produkten nicht injiziert werden, sondern kann oral verabreicht werden. Es befindet sich allerdings noch in Phase I der klinischen Entwicklung.
Kein Freund der Erbsenzählerei
Sollten sich die Hoffnungen auf seine Wirksamkeit bestätigen, will AstraZeneca bis zu 2 Mrd. Dollar an ihren Partner aus der Volksrepublik zahlen. Soriot hatte schon in der Vergangenheit stark auf China gesetzt. Der ehemalige Chief Operating Officer und Leiter der Pharmasparte des schweizerischen Konkurrenten Roche Holding, der über einen MBA der französischen Elitehochschule HEC Paris verfügt, übernahm 2012 den Chefsessel von AstraZeneca. Nun fährt er die Ernte ein. Er setzte die von Erbsenzählern heruntergewirtschaftete britisch-schwedische Gesellschaft wieder auf die Erfolgsspur. Lynparza, dem auf Eis gelegten Medikament gegen Eierstockkrebs, hauchte er neues Leben ein. Die Entwicklung des Lungenkrebsmittels Tagrisso trieb er aggressiv voran.
F&E statt Aktienrückkäufe
Soriot setzte auf Forschung und Entwicklung statt auf Aktienrückkaufprogramme, die sich nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch in Großbritannien großer Beliebtheit erfreuen. Er ließ den Viagra-Hersteller Pfizer mit seinem 118 Mrd. Dollar schweren Übernahmeangebot unter Verweis auf die guten Perspektiven als eigenständiges Unternehmen abblitzen.
Oxford-Impfstoff sorgt für Streit
Soriot meisterte auch den Streit mit der EU-Kommission über die Auslegung des Liefervertrags für den von der Universität Oxford entwickelten Sars-CoV-2-Impfstoff, der von AstraZeneca produziert wurde. Europäische Politiker wie Emmanuel Macron hatten Zweifel an der Wirksamkeit des Präparats gesät. Schon damals wurden gefährliche Blutgerinnsel im Gehirn als mögliche Nebenwirkung des Vakzins genannt. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen drohte mit einem Exportverbot für innerhalb der Staatengemeinschaft produzierte Chargen. Dabei wurde in vielen Mitgliedsländern die Verimpfung ausgesetzt. In Großbritannien wurde es später nur noch an Über-40-Jährige verabreicht. „Medizin sollte nicht für die Medien praktiziert werden, sondern von Experten“, sagte Soriot einmal.
Derzeit sorgt in Großbritannien eine Impfklage am High Court für Aufmerksamkeit. Wie der „Telegraph“ berichtet, gehen Jamie Scott und die Hinterbliebenen von Alpa Tailor juristisch gegen das Unternehmen vor. Scott musste seinen Job nach einer Gehirnblutung aufgeben, die er auf die Impfung mit dem AstraZeneca-Produkt zurückführt. Tailor verstarb, nachdem sie das Vakzin erhalten hatte. Unterstützt werden sie von der Kanzlei Hausfeld. Dem Bericht zufolge könnten bis zu 80 weitere Klagen folgen. Soriot wird das keinen großen Schrecken einjagen. Er ist Kontroversen gewohnt.