Bei Novartis endet die Ära Vasella - Jörg Reinhardt tritt in große Fußstapfen
Von Daniel Zulauf, Zürich, und Annette Becker, DüsseldorfDaniel Vasella (59) geht und die Börse jubelt. Die Finanzmärkte sind ein untrügliches Stimmungsbarometer – auch wenn es um die Beliebtheit von Spitzenmanagern geht. Der scheidende Novartis -Präsident wird nicht überrascht sein, dass die Investoren seinen Abgang so ausgiebig feiern. Er weiß, dass sie schon lange auf diesen Tag gewartet haben.Vom Glanz des “Super-Dan”, der vor zehn Jahren vor allem in der amerikanischen und britischen Wirtschafts- und Finanzpresse als Star-Manager gefeiert und 2002 von “Business Week” quasi offiziell als einer der weltweit 25 wichtigsten Vertreter seiner Gilde auf den Schild gehoben wurde, war in den letzten Jahren nicht mehr viel zu sehen. Mäßige AktienperformanceDie mäßige Performance der Novartis-Aktien ist dafür aber nur ein Grund unter vielen. Gewiss, die Titel des Baseler Pharmariesen sind in den vergangenen Jahren, in denen Vasella die Zügel des Unternehmens in Händen hielt, per saldo nicht vorangekommen. Und manche Aktionäre, die sich von der legendären Fusion zwischen Sandoz und Ciba-Geigy im Jahr 1996 ganz viel versprochen hatten, werden ihm dies auch heute noch als Managementversagen anlasten. Doch viele Investoren dürften mit Blick auf die weltweit alles andere als berauschende Entwicklung der Pharmabranche auch zu dem Schluss gekommen sein, dass Novartis schon mit der einfachen Besitzstandswahrung eine ansehnliche Leistung erbracht hat.Ein Fakt ist allerdings, dass Vasella die an seine Person geknüpften Erwartungen auf dem Finanzmarkt wie auch im Unternehmen selber im Laufe seiner Karriere bei Novartis nie wirklich zu erfüllen vermochte. Seine Kritiker werden sagen, es sei ihm der eigene Ehrgeiz in den Weg gekommen.Aber diese Analyse greift zu kurz. Als Vasella 1996 im Alter von 43 Jahren vom Onkel seiner Ehefrau, dem langjährigen Sandoz-Präsidenten Marc Moret, an die Spitze des Fusionskonzerns berufen wurde, waren ihm die großen Ideale förmlich anzusehen. Der gut aussehende Manager lachte in jede Kamera, und nie hinterließ er den Eindruck, als seien seine Auftritte gekünstelt oder gar von PR-Managern minutiös durchgeplant.Dem Mann kam zugute, dass er sich nicht, wie andere Konzernchefs, in einem jahrzehntelangen Abnutzungskampf nach oben boxen musste. Der Erfolg fiel ihm scheinbar zu, und das auch außerhalb der Unternehmenswelt.Vasella promovierte 1980 als Mediziner, arbeitete in großen Schweizer Krankenhäusern als Internist und wurde im jungen Alter von 31 Jahren im Berner Inselspital zum Oberarzt gewählt. Er habe sich für den Beruf des Arztes entschieden, weil Tod und Krankheit seine eigene Kindheit und Jugend geprägt hätten, erklärte Vasella in den zahllosen Interviews, die er in den vergangenen 17 Jahren anfänglich mit Enthusiasmus und später immer widerwilliger geben durfte und musste. Im Alter von 13 Jahren verlor er seinen Vater, der aufgrund eines Arztfehlers starb. Selber erkrankte er als Kind an Tuberkulose und später verlor er beide Schwestern.Der idealistisch motivierte Weltverbesserer, der sich heute noch mit Stolz an seine marxistische Phase in der Jugend erinnert, und der ehrgeizige und geltungssüchtige Mensch, der keinen Hehl daraus macht, dass er immer neue Herausforderungen braucht, – die Kombination dieser beiden Charakterzüge hat einen in vielerlei Hinsicht einzigartigen Manager hervorgebracht, für den es an der Spitze eines durchregulierten, börsennotierten Großkonzerns aber immer weniger Entfaltungsspielraum zu geben schien. “Ich hoffe, in Zukunft mehr persönliche Freiheiten genießen zu können”, schrieb Vasella gestern in einem Brief an seine Mitarbeiter. “Denn in einem Top-Job wird man fast ein Sklave seiner eigenen Agenda.” Teil dieser Agenda ist auch das System von Großunternehmen, in das der 59-Jährige nicht mehr richtig hineinpassen will. Zweifel an der StrategieDie milliardenschweren Übernahmen (Alcon) und die großen Desinvestitionen (Gerber), mit denen Vasella dem Konzern Schritt für Schritt die heutige Form verpasste, vermochte er den Investoren und Mitarbeitern zwar immer wieder als Teil einer großen Idee zu verkaufen. Doch Mal für Mal wuchsen auch die Zweifel an der Richtigkeit der Strategie, die Vasella bis vor drei Jahren als Verwaltungsratspräsident und Konzernchef in Personalunion geprägt und vertreten hatte. Überzeugungstäter”Ich finde es richtig, zu seiner eigenen Überzeugung zu stehen, auch wenn sie nicht populär ist. Aber man sollte sich nicht von einer Kongregation von Gläubigen distanzieren”, sagte der Katholik Vasella vor vielen Jahren in einem Interview. Genau das aber ist ihm in den vergangenen Jahren zunehmend passiert. Mit seinem sturen Festhalten am Doppelmandat, gegen die Kritik großer Investoren, entfernte sich Vasella zunehmend von der Kongregation der Kapitalisten. Er wurde stiller, aber nicht flexibler. Die hohe Vergütung, mit der Vasella Jahr für Jahr für Negativ-Schlagzeilen sorgte, wird auch auf seiner letzten Hauptversammlung am 22. Februar nochmals Thema sein. Unvergessen ist das Jahr 2009, als Vasella 40 Mill. sfr nach Hause trug.Die Nachfolge Vasellas an der Spitze des Verwaltungsrats tritt Jörg Reinhardt an, der damit nach einem dreijährigen Ausflug zu Bayer an seine alte Wirkungsstätte zurückkehrt. Das ist insofern erstaunlich, als der 56-Jährige 2010 den Schweizer Konzern aus freien Stücken verlassen hatte, nachdem er im Rennen um den Chefsessel bei Novartis den Kürzeren gezogen hatte. Seit Reinhardt 2008 als Chief Operating Officer (COO) in den Vorstand eingerückt war, hatte er als Top-Favorit für die Nachfolge Vasellas als CEO gegolten. Anfang 2010 entschied sich der Verwaltungsrat jedoch für den Amerikaner Joseph “Joe” Jimenez und merzte zugleich die Vorstandsposition des COO aus.Derart düpiert kehrte der gebürtige Saarländer seinem langjährigen Arbeitgeber den Rücken und heuerte kurzerhand bei Bayer an. Dort leitete der promovierte Pharmazeut seit Sommer 2010 die Gesundheitssparte, den wichtigsten der drei Teilkonzerne. Zudem gehörte Reinhardt in dieser Funktion dem Executive Council, dem Führungsgremium unterhalb des Konzernvorstands, an. Seine berufliche Laufbahn hatte Reinhardt nach Promotion an der Universität des Saarlandes bei Sandoz, die 1996 in Novartis aufging, begonnen. Dort arbeitete er in diversen führenden Positionen, unter anderem leitete er die globale Pharmaentwicklung.Marijn Dekkers, Vorstandsvorsitzender von Bayer, zeigte sich überaus verständnisvoll für die Entscheidung des Top-Managers: Reinhardt habe mit seiner Erfahrung und seinem Engagement großen Anteil an der überaus positiven Entwicklung des Teilkonzerns Healthcare, lobte Dekkers. “Wir akzeptieren jedoch seine Entscheidung, seine Karriere in seiner Schweizer Wahlheimat fortsetzen zu wollen, und wünschen ihm für die Zukunft alles Gute.”Ende Februar werde Reinhardt seinen aktiven Dienst bei Bayer beenden, hieß es. Bis ein neuer Chef für den Teilkonzern gefunden sei, werde Dr. Wolfgang Plischke (61) Reinhardts Aufgaben zusätzlich übernehmen. Plischke gehört dem Holdingvorstand des Leverkusener Konzerns seit 2006 an und zeichnet in dieser Funktion für Technologie, Innovation und Nachhaltigkeit verantwortlich. Vor seinem Wechsel in den Konzernvorstand arbeitete Plischke 25 Jahre lang im Gesundheitsbereich von Bayer, wo er zuletzt die Pharmasparte leitete.