Bieter für AC Mailand setzt auf die Nachspielzeit
Von Stefan Paravicini, FrankfurtDer chinesische Investor Sonny Wu hat zuletzt keine guten Erfahrungen gemacht, wenn er mit einem Deal in die Nachspielzeit musste. Erst zum Jahresanfang blieb der 48-Jährige an der Spitze des von seinem Investmentvehikel Go Scale Capital angeführten Konsortiums wenig anderes übrig, als die Übernahme von LED und Autoscheinwerfern aus dem Portfolio des niederländischen Technologiekonzerns Philips abzublasen, nachdem die US-Regierung in der Verlängerung Einspruch erhoben hatte. In der regulären Spielzeit hatte sich Wu zusammen mit weiteren Investoren aus China noch mit einem Gebot von rund 3 Mrd. Dollar durchgesetzt und dabei Adressen wie die Beteiligungsgesellschaften KKR und Bain aus dem Feld geschlagen. Seither haben Wu und seine Investmentvehikel Go Scale und GSR Capital in der Investorengemeinde einen anderen Klang. Ballgeschiebe mit BerlusconiBald könnte Wu auch italienischen Fußballfans ein Begriff sein. Denn in den laufenden Verhandlungen von GSR Capital über eine mögliche Beteiligung von chinesischen Investoren am italienischen Fußballclub AC Mailand stehen die Chancen gut. Der Eigentümer der “Rossoneri”, der ehemalige italienische Regierungschef Silvio Berlusconi (79) mit seiner Investmentgesellschaft Fininvest und die von Wu angeführten Investoren schieben laut Medienberichten zwar schon fast zwei Jahre die Bälle hin und her. An diesem Wochenende und damit noch vor Ende der Nachspielzeit erwarten Finanzkreise in Mailand aber den Abschluss eines Deals, bei dem es laut Medienberichten um eine Beteiligung von 80 % für rund 440 Mill. Euro exklusive Schulden gehen könnte, der den 1899 gegründeten Traditionsclub mit insgesamt 750 Mill. Euro bewerten würde. Teil der Vereinbarung soll außerdem eine Sponsoringvereinbarung und die Zusage von Investitionen in Höhe von 400 Mill. Euro in den nächsten zwei Jahren sein. Es wäre das bisher größte Investment aus China in einen Fußballclub weltweit. Elektroautos aus ChinaFür Wu und seine GSR Capital wäre es das erste Sportinvestment überhaupt. Bisher hat die 2004 gegründete Beteiligungsgesellschaft vor allem in Technologieunternehmen investiert, etwa in den US-Batteriehersteller Boston Power und in den chinesischen Elektroautohersteller Xindyang. Heute produziert Boston Power in China und liefert vor allem Batterien für die Elektrofahrzeuge von Xindyang. Mit der amerikanischen Philips-Tochter Lumileds hatte Wu wohl ein ähnliches Arrangement im Sinn und stieß auch deshalb auf den Widerstand der US-Regierung.Fans des AC Mailand müssen zwar nicht fürchten, dass der Club nach einer Übernahme durch GSR nach China umziehen würde. Die Wachstumsmöglichkeiten einer der bekanntesten Fußballmarken in der Volksrepublik dürften bei der Beteiligung aber ebenfalls eine Rolle spielen. Immerhin übertrug das chinesische Fernsehen bereits in den achtziger Jahren die ersten Spiele aus der höchsten italienischen Profiliga. Viele Chinesen konnten die Renaissance des Clubs als europäische Spitzenmannschaft nach der Übernahme durch Silvio Berlusconi 1986 deshalb mitverfolgen. Bis heute erfreut sich die Marke großer Beliebtheit in China, auch wenn der Verein in den vergangenen Jahren ins Mittelmaß abgerutscht ist. Der AC Mailand behauptet von sich, weltweit auf die Gefolgschaft von 380 Millionen Fußballfans bauen zu können.Welche Rolle Wu nach Abschluss eines Deals spielen würde, ist nicht ausgemacht. Als Statthalter der chinesischen Investorengruppe in Mailand ist laut Medienberichten der Investor und Sportmanager Nicholas Gancikoff vorgesehen. Der 42-Jährige Oxford-Absolvent, der aktuell als Chief Investment Officer der in Mailand ansässigen Solar Investment Group tätig ist und zuvor bereits mit der von ihm gegründeten Sports Investment Group Erfahrungen im Sportbusiness sammelte, soll demnach als CEO die Entwicklung des AC Mailand verantworten. Er soll auch treibende Kraft hinter dem Deal sein, während Wu in China die passenden Partner an einen Tisch und hinter GSR brachte.Wu gehört zu der wachsenden Zahl von chinesischen Investoren mit guten Verbindungen zu den Reichen und Mächtigen in und außerhalb Pekings, die sich in Schanghai heute genauso wohl fühlen wie in San Francisco. Mit Unterstützung der Zentralregierung machen sie auch im Silicon Valley Jagd auf interessante Assets, die zu den Entwicklungsplänen des Staates passen. Die Investitionen in Elektromobilität, Batterietechnik und LED sind dafür ebenso gute Beispiele wie das Engagement beim AC Mailand. Staatschef Xi Jinping, selbst ein großer Fußballfan, will die Sportart in China zu einem milliardenschweren Geschäft ausbauen und spätestens 2030 die Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land austragen.Beteiligungen von chinesischen Investoren an internationalen Spitzenclubs standen zuletzt deshalb auf der Tagesordnung. Erst vor zwei Monaten hat sich der Elektronikkonzern Suning für 270 Mill. Euro die Mehrheit an Inter Mailand gesichert. Kommt GSR mit ihrem Gebot für den Stadtrivalen AC Mailand zum Ziel, werden in der norditalienischen Metropole in Zukunft chinesische Derbys ausgetragen. Nortel statt NobelpreisWu hilft bei internationalen Engagements auch abseits des Fußballplatzes seine Biografie, die ihn Anfang der achtziger Jahre als 13-Jährigen zusammen mit seinen Eltern nach Vancouver führte. Er ging in Kanada zur Schule, studierte und schrieb sich später an der Berkeley Universität in San Francisco für ein PhD-Programm in Physik ein. Da er bald zum Schluss kam, keine Chance zu haben, “den Nobelpreis zu gewinnen”, wie er in einem Interview vor einem Jahr einräumte, brach er das Studium ab und ging für den kanadischen Telekom- und Halbleiterkonzern Nortel zurück nach China. Er spricht Englisch, Mandarin und Kantonesisch wie seine Muttersprache.Wu versuchte sich als Gründer eines Start-ups und initiierte 2004 GSR, die unter den Initialen eines Abschnittes des Jangtse-Flusses (Golden Sanded River) firmiert. Den ersten Fonds schloss er ein Jahr später mit 75 Mill. Dollar. Heute hat die Gesellschaft etwa 2 Mrd. Dollar in der Kriegskasse. Vor einem Jahr kündigte Wu an, für einen neuen Fonds 5 Mrd. Dollar einsammeln zu wollen. Der Mann hat genug Ausdauer, um gegen den AC Mailand auch ein Elfmeterschießen durchzustehen.