Luft- und Raumfahrtindustrie

Branchenveteran Ortberg soll Boeing aus der Krise fliegen

Der angeschlagene US-Luftfahrt- und Raumfahrtkonzern holt mit Kelly Ortberg einen erfahrenen Ingenieur als neuen Chef, nachdem er seinen Verlust im zweiten Quartal nahezu verzehnfacht hat.

Branchenveteran Ortberg soll Boeing aus der Krise fliegen

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Branchenveteran Ortberg soll Boeing aus der Krise fliegen

wü Paris
Von Gesche Wüpper, Paris

Es ist eine der schwierigsten Aufgaben, die es derzeit in der Luftfahrtindustrie gibt. Denn der künftige Chef von Boeing muss den angeschlagenen US-Konzern nicht nur wieder zurück auf die Gewinnspur bringen, nachdem sich die Verluste im ersten Halbjahr mehr als verdreifacht haben. Er muss auch Qualitätsprobleme in den Griff bekommen, das Vertrauen von Kunden und Passagieren zurückgewinnen und mit Zulieferern und Behörden verhandeln. Auf der Suche nach dieser seltenen Spezies ist der Airbus-Rivale nun nach mehreren Monaten endlich fündig geworden. Er hat Mittwoch die Berufung von Robert „Kelly“ Ortberg als neuen Chef bekanntgegeben.

Der 64-jährige frühere Chef von Rockwell Collins soll Dave Calhoun bereits am 8. August ablösen. Der 67-Jährige hatte im März angekündigt, Ende des Jahres zurücktreten zu wollen, nachdem Boeing nach dem Zwischenfall mit einer 737 Max 9 von Alaska Airlines und Pannen mit anderen Modellen immer stärker in die Kritik geraten war. „Kelly hat die richtigen Kompetenzen und Erfahrungen, um Boeing in sein nächstes Kapitel zu führen“, erklärte Verwaltungsratschef Steven Mollenkopf. Der frühere Qualcomm-Chef hat die Suche nach einem Nachfolger für Calhoun maßgeblich geleitet, nachdem er Ende März Larry Kellner als Vorsitzenden des Kontrollgremiums abgelöst hat.

Erfahrener Maschinenbau-Ingenieur

Der aus Iowa stammende Ortberg sei in der Branche sehr respektiert, lobte Mollenkopf den Luftfahrt-Veteran. Er sei dafür bekannt, starke Teams aufzubauen und komplexe Maschinenbau- und Fertigungsunternehmen zu leiten. Im Gegensatz zu dem ausgebildeten Wirtschaftsprüfer Calhoun, der bei Boeing 2020 nach zwei Abstürzen von 737 Max-Mittelstreckenjets mit 346 Toten als Krisenmanager das Ruder übernommen hatte, ist Ortberg Maschinenbau-Ingenieur.

In Branchenkreisen war zuletzt immer wieder Kritik zu hören, dass die Entwicklung der konzerninternen Kultur mit für die tiefe Krise verantwortlich ist, die Boeing derzeit durchfliegt. Der Flugzeugbauer habe sich von einem für Ingenieurskunst bekannten Konzern zu einem rein auf Verkaufszahlen ausgerichteten Unternehmen gewandelt und darüber Sicherheitsaspekte vernachlässigt. Der künftige Boeing-Chef bringt mehr als 35 Jahre Erfahrung in der Luftfahrtindustrie mit. Nach dem Studium an der University of Iowa begann er seine Karriere einst bei Texas Instruments und wechselte dann Ende der 80er als Programmmanager zu Rockwell Collins. 2013 stieg er zum Chef des wichtigen Flugzeugbau-Zulieferers auf, wo ihm erst die 8,3 Mrd. Dollar-Übernahme von BE Aerospace gelang, dann die Integration mit United Technologies und RTX, bevor er 2021 in den Ruhestand ging. Derzeit gehört er dem Vorstand von Aptiv an, einem Automobilzulieferer.

Quartalsverlust verzehnfacht

Seine Erfahrungen bei der Integration von Unternehmen wird Ortberg bei Boeing gut gebrauchen können, denn der Flugzeugbauer will jetzt seinen Zulieferer Spirit Aerosystems wieder übernehmen. „Es gibt viel zu tun und ich freue mich, damit zu beginnen“, erklärte Ortberg.

Er muss auch dafür sorgen, dass der Konzern nicht weiter Geld verbrennt. Im zweiten Quartal flossen operativ fast 4 Mrd. Dollar ab. Der Umsatz brach um 15% auf 16, 9 Mrd. Dollar ein. Der Nettoverlust verzehnfachte sich mit 1,44 Mrd. Dollar nahezu. Nicht nur die Flugzeugbausparte, sondern auch die Rüstungs- und Raumfahrtaktivitäten schreiben rote Zahlen.