Chase Koch hört Hayek und spielt Led Zeppelin
Von Stefan Paravicini, New YorkWenn Chase Koch von seiner Jugend erzählt, spricht er gerne über die Methoden seines Vaters Charles, mit denen der CEO und Chairman von Koch Industries den Sohn an die Ideen von ökonomischen Vordenkern wie Milton Friedman oder Friedrich August von Hayek heranzuführen versuchte. “Jeden Sonntag hatten wir Ökonomie- und Philosophie-Stunden”, erinnert sich der heute 42-Jährige. “Mein Vater nahm mich und meine Schwester mit, und wir haben die Bücher von Friedman und Hayek vom Band gehört.” Diese Sonderschichten begannen für Chase schon im Alter von sechs Jahren. “Ich kann nicht sagen, dass ich mich damals besonders passioniert für diese Ideen interessiert habe”, sagte er vor einigen Monaten bei einem Auftritt vor dem Rotarier-Club in Wichita im US-Bundesstaat Kansas. Ferienjob im FamilienkonzernAuch das Interesse für das familieneigene Firmenkonglomerat, das Charles zusammen mit seinem Bruder David über beinahe 60 Jahre zu einem rund 140 Mrd. Dollar schweren Konzern mit Aktivitäten in der Agrarwirtschaft, im Energiesektor, in der Ölindustrie und Petrochemie, im Rohstoffhandel sowie in der Finanzbranche bis hin zur Papier- und Zellstoffindustrie ausgebaut hat, hielt sich bei Chase lange in Grenzen. Im Alter von 15 Jahren absolvierte er seinen ersten Ferienjob in einem Landwirtschaftsbetrieb von Koch Industries, der wenig Lust auf mehr machte. Während des Marketing-Studiums an der Texas A&M University – Vater Charles und sein Bruder David haben ebenso wie der Großvater und Firmengründer Fred ein Ingenieurstudium am Massachusetts Institute of Technology absolviert – kehrte Chase zwar jeden Sommer zurück. Doch nach seinem Abschluss im Jahr 2000 zog es ihn zunächst nicht an den Firmensitz von Koch Industries in Wichita, sondern nach Austin, Texas, wo er neben einem Job bei einer Unternehmensberatung mit seiner Band Led Zeppelin spielte, statt Hayek vom Band laufen zu lassen. “Ich war zu stolz, um mich an das Netzwerk von Koch zu wenden”, sagt Chase im Rückblick. MBA bei Koch IndustriesLeslie Rudd, ein mittlerweile verstorbener Unternehmer aus Wichita und langjähriger Freund seines Vaters, machte Chase bei einem Abendessen in Austin schließlich klar, dass er die Chance, im familieneigenen Imperium zu lernen, nicht ausschlagen konnte. Drei Jahre nach dem Ende seines Studiums begann er mit einer Ochsentour durch den Konzern und machte unter anderem in der Abteilung für Übernahmen und Fusionen Station, lernte in der Abteilung für Steuern die Firmenstruktur kennen und legte im Agronomie-Geschäft sowie im Rohstoffhandel Hand an. Das alles sollte ihm eine Erfahrung ähnlich einem MBA-Programm vermitteln. Noch einmal drei Jahre später startete Chase 2006 im regionalen Management des Düngergeschäfts, rückte bald in Führungsrollen bei Koch Fertilizer und zum Executive Vice President von Koch Agronomic Services auf.Heute sitzt Chase Koch nicht nur im Board von Koch Industries, sondern steht auch an der Spitze der im November 2017 gründeten Venture-Capital-Gesellschaft Koch Disruptive Technologies (KDT), die nach jungen Unternehmen und vielversprechenden Technologien sucht, mit denen das Konglomerat den disruptiven Wandel von innen anstoßen kann, bevor neue Herausforderer mit Hilfe des technologischen Fortschritts außen überholen. Die Losung hatte CEO und Chairman Charles Koch vor zwei Jahren auf einer Führungstagung ausgegeben. “Macht es oder wir landen im Abfalleimer”, erklärte der heute 83-Jährige, der seit dem Rückzug seines vier Jahre jüngeren Bruders David im vergangenen Jahr allein an der Spitze von Koch Industries steht, zum technologischen Wandel.KDT hat sich seither unter anderem an Insightec beteiligt, die operative Eingriffe allein mit Hilfe von Ultraschall und ohne Schnitte verspricht. Im vergangenen Jahr hat die Gesellschaft bei einer Finanzierungsrunde von D2iQ mitgezogen, die IT-Lösungen für Unternehmen aus einer hybriden Cloud anbietet und Firmen wie General Electric zu ihren Kunden zählt. In diesem Jahr hat KDT eine 160 Mill. Dollar schwere Runde des 3-D-Metalldruck-Spezialisten Desktop Metal angeführt und ist vor wenigen Tagen zu einer Bewertung von 1Mrd. Dollar bei dem Start-up Ibotta vorangegangen, das sich eine gute Rolle im mobilen Zahlungsverkehr zutraut.Über einen Zeitplan für die Nachfolge an der Spitze von Koch Industries ist öffentlich nichts bekannt. Beobachter haben aber spätestens seit der Berufung von Chase an die Spitze von KDT keine Zweifel, dass er als Nachfolger von Charles bestimmt ist. Die ein Jahr ältere Schwester Elizabeth führt ein eigenes Verlagshaus und spielt in dem Familienkonzern bislang keine Rolle. Die Kinder von David Koch sind deutlich jünger und dürften für die Nachfolge von Charles noch nicht in Frage kommen. Wenn der Zeitpunkt für den Wechsel gekommen ist, dürfte sich Chase an der Spitze von Koch Industries neben dem väterlichen Rat auch auf langjährige Vertraute wie CFO Steve Feilmeier verlassen können.Was aus dem Firmenimperium wird, wenn die nächste Generation das Sagen hat, ist in der amerikanischen Öffentlichkeit allerdings nur die zweitwichtigste Frage zum Wechsel an der Spitze eines der größten US-Familienunternehmen. Denn die Gebrüder Charles und David Koch verdanken ihre Bekanntheit nicht nur dem unternehmerischen Erfolg von Koch Industries, sondern dem politischen Einfluss, den sich die Familie mit ihrem Netzwerk aus Hunderten von Geldgebern der Republikanischen Partei und mit der Gründung von Denkfabriken wie dem Cato Institute oder dem American Enterprise Institute angeeignet hat. Einfluss auf den KlimawandelDie Kochs gelten als treibende Kraft hinter der Abkehr der US-Regierung von Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels, dessen menschengemachte Ursachen und teils verheerende Folgen von Forschern, die die Brüder förderten, jahrelang in Zweifel gezogen oder ganz bestritten wurden. Chase Koch hat bereits anklingen lassen, dass er sich vor allem für Parteipolitik wenig erwärmen kann. Das galt früher allerdings auch für die Ideen von Friedman und Hayek sowie für das Geschäft von Koch Industries.