Der neue ABB-Chef muss schnell flügge werden
„Wer A sagt, muss auch B sagen“, heißt es im Volksmund. Der neue ABB-Chef Morten Wierod weiß natürlich, dass er in seiner künftigen Rolle als CEO und Nachfolger von Björn Rosengren bald auch unangenehme Momente erleben könnte. Der Elektrotechnikkonzern läuft seit vier Jahren wie geschmiert und Rosengren ist dafür schon reichlich Anerkennung zugeflogen. Im Frühjahr überquerte der Aktienkurs das Allzeithoch – nach geschlagenen 24 Jahren. Die Aktionäre sind begeistert. Zu ihnen gehören auch viele der mehr als 100.000 Angestellten.
Der neue ABB-Chef muss schnell flügge werden
dz Zürich
Von Dani Zulauf, Zürich
Vom CEO zum Portfoliomanager
Rosengren trat an, nachdem sein glückloser Vorgänger Ulrich Spiesshofer den Verkauf der Stromübertragungssparte an Hitachi noch eigenhändig durchgeführt hatte. So bekam der Schwede ein bereits ziemlich schlankes Unternehmen in die Hand. Allerdings war ABB in der alten Struktur organisatorisch kompliziert und schwerfällig geworden. Rosengren sorgte für eine radikale Vereinfachung auf allen Ebenen und ordnete zu diesem Zweck eine rigorose Dezentralisierung des Unternehmens an. So machte der Manger aus der Rolle des machtvollen CEO eine Art Portfoliomanager. Er wacht mit Hilfe eines Punktesystems über die Performance der vier Geschäftsbereiche mit ihren 21 Divisionen.
Der „ABB-Way“, wie Rosengren das Betriebsmodell nennt, macht Unternehmensführung scheinbar zu einem Kinderspiel: Erzielt eine Division zu wenig Punkte, stellen sich zwei Fragen: Ist das Problem selbstverschuldet oder liegt es am Markt? Und lohnt sich eine Sanierung oder braucht es den Verkauf? Es versteht sich, dass eine Antwort meistens komplexer ausfällt, als es die Formel „Fix or Exit“ suggeriert. Rosengren hat einige Exits durchführen lassen. Die Transaktionen waren hilfreich, wenn nicht sogar nötig, um der Kritik besonders aktiver Investoren wie der Investmentgesellschaft Cevian zuvorzukommen.
ABB sei nach wie vor ein Konglomerat, das sich auf seine besten (rentabelsten) Teile konzentrieren müsse, tönt es aus dieser Ecke, sobald es mit dem Aktienkurs nicht mehr aufwärts geht. Die Manager und ihre fordernden Aktionäre spielen hinter den Kulissen ein ewiges Katz-und-Maus-Spiel, indem es um die Deutungshoheit geht. Rosengren hat diese in seinen vier Jahren mit einer guten Mischung aus Aktion und Kommunikation an sich gerissen. Geschickt setzte er auch seine inzwischen 65 Lebensjahre und seine starke Ausstrahlung als geerdeter, durch und durch erfahrener und trittsicherer Manager ein, um die Akzeptanz seiner Aktionäre, seiner Mitarbeiter und nicht zuletzt des Verwaltungsrates als wichtigste Instanz zu erlangen.
Deutungshoheit ist nicht vererbbar
Aber Deutungshoheit ist nicht vererbbar, und der 52-jährige Morten Wierod wird sie sich ungeachtet seiner vielen Verdienste um ABB selbst erkämpfen müssen. Der Norweger ist seit mehr als 25 Jahren für ABB tätig. Er erhielt 2019 die Verantwortung für die Antriebssparte zugesprochen und stieg in die Konzernleitung auf. Drei Jahre später machten ihn Rosengren zum Chef des größten Geschäftsbereichs Elektrifizierung, was bereits eine erste Weichenstellung auf dem Weg zum CEO-Job war. Wierod sei Rosengrens Wunschnachfolger und der einzige ernsthafte Bewerber um den Posten gewesen, heißt es. Die Wahl des allseits beliebten Managers wird auch intern begrüßt. Ob er den finalen Karriereschritt selbst wirklich angestrebt hat, ist nicht bekannt. Ein Verzicht auf die Offerte hätte aber mit einiger Wahrscheinlichkeit auch seine weitere Tätigkeit bei ABB kompromittiert. Wierod verspricht, die von seinem Vorgänger eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Das ist einfacher als es scheint. Denn ABB profitierte unter Rosengren von einer starken Nachfrage der Öl- und Gasindustrie.
Die von ABB angebotenen Technologien werden von Energieunternehmen nachgefragt, die durch die Automation von Produktionsprozessen oder durch Digitalisierung energieeffizienter werden möchten. Es ist anzunehmen, dass sich die Nachfrage und das Wachstum von ABB bei tieferen Rohstoffpreisen abschwächen wird. Dann könnte etwa die aktuelle Wachstumsschwäche der jüngst mit großen Investitionen ausgebauten Robotik-Sparte stärker zum Vorschein kommen und Wierod zu einigen unangenehmen Entscheidungen zwingen.
Auch die Division E-Mobility, die Rosengren gerne an die Börse gebracht hätte, spürt die starke Konkurrenz Chinas im Nacken. Das Geschäft mit Ladestationen schreibt hohe Verluste. Aktuellen Medienberichten zufolge prüft ABB nun den Verkauf des Geschäfts im schnell wachsenden chinesischen Markt. Generell könnte die starke Präsenz von ABB im chinesischen Markt zu einem Brennpunkt werden, wenn sich die geopolitischen Spannungen mit China unter einer neuen US-Regierung noch verschärfen sollten. Morten Wierod übernimmt im August. Rosengren will ich noch ein paar Monate zur Seite stehen. Aber der Neue wird sehr schnell flügge werden müssen.