Peru

Der Strohhut-Mann

Es bleiben noch ein paar Wochen bis zum 28. Juli. Dann, genau 200 Jahre nach dem Start der Unabhängigkeit Perus, will Pedro Castillo, der Mann mit dem enormen Strohhut, die rot-weiß-rote Amtsschärpe übernehmen.

Der Strohhut-Mann

Von Andreas Fink, Buenos Aires

Es bleiben noch ein paar Wochen bis zum 28. Juli. Dann, genau 200 Jahre nach dem Start der Unabhängigkeit Perus, will Pedro Castillo, der Mann mit dem enormen Strohhut, die rot-weiß-rote Amtsschärpe übernehmen.

Zäh wie der Dauernebel von Lima zog sich der Auszählungsprozess nach der Stichwahl am vorigen Sonntag. Nun fehlen nur noch ein paar Zehntel zum letzten Prozent, und der Kandidat der linken Partei „Peru Libre“ hat einen Vorsprung von mehr als 60000 Stimmen auf seine konservative Gegenspielerin Keiko Fujimori. Doch die versucht den Prozess zu dehnen, weil ihr eine Rückkehr in die Untersuchungshaft droht. Top-Anwaltskanzleien wollen Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgabe gefunden haben. 800 Wahlakten will Fujimori für ungültig erklären lassen.

Trauriger Corona-Rekord

Das wiederum will Castillo verhindern, dem ebenfalls prominente Juristen zur Seite stehen. Internationale Beobachter erkannten keine groben Unregelmäßigkeiten bei der Wahl unter besonders extremen Umständen.

Kein Land des Planeten hat – relativ gemessen – mehr Coronatote zu beklagen als Peru. Ende Mai erhöhten die Behörden die offizielle Sterbeziffer von knapp 70000 auf 180000. Diese Ziffer basiert auf der enormen Übersterblichkeit während der bislang zwei Covid-Wellen in dem Andenland.

Und keine Volkswirtschaft ist 2020 tiefer abgestürzt. Um mehr als 11% fiel das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach einem überlangen Lockdown, der den informellen Sektor schwer traf. Drei Viertel der Peruaner arbeiten außerhalb der Sozialsysteme.

Der politische Frust entlud sich vorigen Herbst, als das Land binnen einer Woche drei Präsidenten hatte. Und es gipfelte nun in einer Wahl zwischen zwei Populisten: Fujimori von rechts. Und Castillo – von links? Das ist nun das große Fragezeichen. Denn niemand weiß so recht, wofür der Mann steht, den weite Landesteile wählten aus Protest gegen das Hauptstadt-Establishment und deren Geschäfte mit internationalen Konzernen.

Castillo, 51, war bislang Kleinbauer und Lehrer in einer Dorfschule in den nördlichen Anden. Zehn Stunden Autofahrt trennen seinen Wohnort vom nächsten Flughafen. Er engagierte sich in der Lokalpolitik zunächst in der Partei des wirtschaftsfreundlichen Ex-Präsidenten Alejandro Toledo, der 2019 in den Vereinigten Staaten wegen Korruption verhaftet wurde. 2017 schloss sich Castillo jedoch der Bewegung Peru Libre an, die der in Kuba ausgebildete Mediziner Vladimir Cerrón gegründet hatte – mit klarem marxistischen Programm. National bekannt wurde Castillo in jenem Jahr, als er einen nationalen Lehrerstreik anführte. Der Parteiführer Cerrón erkannte in ihm Potenzial für eine peruanischen Evo Morales. Pandemie, Massenarmut, Wut und Verzweiflung ebneten Castillo den Weg. Doch wohin führt der?

Bislang winden sich seine Ansagen wie die Serpentinen in seiner Heimat. In der ersten Wahlrunde bog er links ab und proklamierte die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien wie etwa des Bergbausektors. Aber vor der Stichwahl bremste er deutlich und gelobte nunmehr, das Privateigentum zu respektieren. Und nach dem Wahltag, als die Aktienkurse um 10% einbrachen, versicherte er, die Unabhängigkeit der Zentralbank nicht anzutasten. Während Castillo höhere Staatsanteile in Erziehung und Gesundheitspflege fordert wie alle Latino-Linken, lehnt er Homo-Ehe und Abtreibung ab.

Perus Politologen erkennen in Castillos Slalom den Kampf zwischen seinen Hinterleuten. Denn neben Cerróns Apparatschiks haben auch moderate Linksparteien Castillo im zweiten Wahlgang unterstützt und diesem ein professionelles Beraterteam zur Verfügung gestellt. Zentrale Figur ist hier der ehemalige Weltbankökonom Pedro Francke, der Castillo einen sozialdemokratischen Weg empfiehlt, ohne radikale Systemwechsel. Sicher ist: Die Linkspartei Peru Libre besitzt nur ein Fünftel der Sitze im Kongress. Um verfassungsgemäß zu regieren, wird Castillo in die Mitte rücken müssen. Er müsste wohl eher ein Lula werden als ein Evo Morales.