Der Traum von Chinas Cashburn-Queen platzt
Von Norbert Hellmann, SchanghaiIhr Traum ist geplatzt wie eine Milchschaumblase in der Cappuccino-Tasse. Die Chefin und Mitgründerin der in den vergangenen Monaten für allerlei Furore sorgenden chinesischen Kaffeehauskette Luckin Coffee, Qian Zhiya (Jenny Qian), muss nun die Konsequenzen aus einem Bilanzfälschungs- und Anlegerbetrugsskandal des einstigen Highflyers an der New Yorker Technologiebörse Nasdaq ziehen und das Unternehmen verlassen.Der vom Mitgründer und Haupteigner Lu Zhengyao (Charles Lu) angeführte Verwaltungsrat der Luckin Coffee hat beschlossen, Chief Executive Qian sowie den der Bilanzfälschung belangten Chief Operating Officer (COO) Liu Jian mit sofortiger Wirkung zu entlassen. Sechs weitere Mitarbeiter, die unter Lius Verantwortung gestanden hatten, sind darüber hinaus suspendiert oder in unbefristeten Urlaub geschickt worden. Neuer CEO berufenNeuer Chief Executive des genauso rasant gewachsenen wie tief gefallenen Starbucks-Rivalen in China wird der bislang als Senior Vice President für Beschaffungs- und Lieferkettenmanagement verantwortliche und bereits als Boardmitglied fungierende Guo Jinyi. Darüber hinaus wurden zwei neue Boardmitglieder bestellt, heißt es in einer Mitteilung der Gesellschaft.Anfang April war die vor einem Jahr an die Nasdaq gekommene Luckin Coffee von einem handfesten Skandal erschüttert worden, was die Verdachtsmomente einer Reihe von amerikanischen Hedgefonds, darunter der berühmte Shortseller Muddy Waters, bestätigt, dass mit Luckins rasendem Geschäftswachstum und blitzschneller Expansion etwas nicht stimmt. In einer Mitteilung an die überwiegend US-amerikanischen Anleger wurde dann konzediert, dass Luckin unter der Regie von COO Liu die Umsätze in den ersten neun Monaten des Geschäftsjahres in einer Größenordnung von 2,2 Mrd. Yuan (rund 290 Mill. Euro) drastisch überzeichnet hatte. Damit wurden 40 % der Gesamterlöse für das vergangene Jahr schlichtweg fingiert.Seitdem ist die Luckin-Aktie, deren Wert nach Bekanntwerden der Nachricht um 91 % abgestürzt war, vom Handel an der Nasdaq ausgeschlossen. Darüber hinaus sind Anleger geprellt, die eine kurz nach Luckins Börsendebüt begebene Wandelanleihe über 820 Mill. Dollar gezeichnet hatten, die nun praktisch wertlos geworden ist. Bitterer AbsturzUnklar ist noch, ob Jenny Qian (43) als Spiritus Rector des Turbo-Geschäftsmodells von Luckin in den Betrug direkt involviert ist oder nur als Unternehmenschefin für nachlässige Überwachung zu Rechenschaft gezogen wird. In jedem Fall bedeutet dies den bitteren Absturz einer für ihren Entrepreneurgeist gerühmten chinesischen Starunternehmerin. Luckin Coffee war mit einem besonders hohen Kapitalverbrauch (Cashburn) unterwegs und wäre auch ohne den Bilanzskandal noch lange nicht profitabel gewesen. Aber an der Wall Street stand man den ambitiösen Plänen von Qian aufgeschlossen gegenüber. Schließlich hat man es mit einem Gastronomiebetrieb im Gewand eines Technologieunternehmens zu tun, das es zumindest optisch auf ein atemberaubendes Wachstum im chinesischen Markt brachte. Marktführer überrolltQian hatte es binnen kürzester Zeit geschafft, mit einem an den Kundenbedürfnissen junger technologieaffiner Chinesen orientierten Konzept den chinesischen Kaffeemarkt aufzurollen und dabei den dort seit 20 Jahren etablierten Marktführer Starbucks regelrecht zu überrollen. Luckin hatte mit einem von anderen chinesischen Online-Dienstleistern und ihrem starken App-Auftritt entlehnten Konzept die Dinge in Bewegung gebracht.Chinas junge Büroangestellte wollen immer mehr Kaffee, aber sie wollen ihn schnell haben, mit dem Smartphone bestellen und bezahlen und legen oft keinen Wert auf das Oasenkonzept von Starbucks mit ansprechenden Räumlichkeiten, die den hohen Preis rechtfertigen. Vielmehr geht es darum, vor allem in Mittagspausen rasch und vor allem billig zum Kaffeegenuss zu kommen und der bei Starbucks üblichen langen Warteschlangenbildung zu entgehen.Mit ihren Beobachtungen über die Bedürfnisse einer jungen Konsumentenschicht konnte Qian unter Inkaufnahme eines gewaltigen Cashburn ein neues Format für eine schnelllebige Kaffeekultur im Reich der Mitte schaffen. Luckin Coffee zog in einem atemberaubenden Tempo neue, zum Teil winzige Dependancen auf, in denen es lediglich darum geht, Kaffee zu kochen und schnell an den Kunden zu bringen, im Zweifelsfall per Lieferdienst. Order und Bezahlung erfolgen ausschließlich digital über die App. Wie in der AutovermietungDer rasende Erfolg des Konzepts ist im Zweifelsfall einer Mischung aus Retail- und Logistikkonzept zu verdanken, die sich Qian im Autovermietungsgeschäft sowie in der Sharing Economy mit Fahrdienstvermittlung angeeignet hatte. Qian stammt aus Wuhan, jener Stadt, die als Ausbruchsort der Corona-Epidemie weltweite Bekanntheit erlangt hat – in China aber auch als Kapitale der Autoindustrie gilt. Dort hatte sich Qian ihre unternehmerischen Sporen als Managerin bei der Autovermietungsgesellschaft China Auto Rental Company (Car) verdient.Ihr Entrepreneurtalent konnte Qian dann im Rahmen von Ucar verwirklichen, einer von Car abgespalteten Gesellschaft mit einer Plattform für internetgestützte Fahrvermittlungs- und Transportdienste. Im Herbst 2017 verwirklichte sie mit Luckin Coffee ihren Traum von einem eigenverantwortlich aufgezogenen Start-up-Unternehmen. Zwar hat sie Luckin Coffee mit einer Reihe von Verbündeten bei Ucar, darunter der jetzt ebenfalls geschasste Liu, blitzschnell auf Touren gebracht, aber nun in gewisser Weise voll vor die Wand gefahren.