Milliardär Daniel Křetínský errichtet rätselhaftes Beteiligungs-Imperium
Die tschechische Investment-Sphinx
Von Christoph Ruhkamp, Frankfurt
Er wird wegen der Rätsel, die seine teils undurchsichtigen Investments aufgeben, die „tschechische Sphinx“ genannt. Formal ist Daniel Křetínský der Mehrheitseigentümer (94%) und Chairman of the Board of Directors des in Prag ansässigen Konglomerats Energetický a průmyslový holding, a.s. (EPH). Der 49 Jahre alte Unternehmer und Milliardär, der gebürtig aus Brünn stammt und dort in Jura promovierte, hat den ersten Teil seines Vermögens als Angestellter und später als Partner der tschechischen Private-Equity-Firma J&T gemacht. Seit 2017 ist er mit Anna Kellnerova liiert, der Tochter des bei einer Helikopter-Skitour in Alaska tödlich verunglückten Milliardärs Petr Kellner, der als „Warren Buffett Osteuropas“ galt.
Rätselhafter Investor
Beginnend mit der Braunkohle in Ostdeutschland, kaufte Křetínský einen Gemischtwarenladen an Unternehmensbeteiligungen in ganz Europa zusammen, die sich über zahllose Investmentgesellschaften und Holdings erstrecken. Selten erschließt sich unmittelbar, warum er sich für die von ihm ausgewählten Übernahmeziele interessiert. Im Mai musste der Aufsichtsrat von Thyssenkrupp den Verkauf von 20% der Anteile der angeschlagenen Thyssenkrupp-Stahlsparte an Křetínskýs Energieholding EP Corporate Group gegen die Stimmen der Arbeitnehmerbank durchsetzen. Auf Anfrage der Börsen-Zeitung wollten sich weder Křetínský noch EPCG über die Pressemitteilung hinaus äußern.
„Gegen Milliardäre haben wir nichts, solange sie Geld mitbringen und in den Stahl investieren“, sagte der Konzernbetriebsratsvorsitzende Tekin Nasikkol. Allerdings wüssten die Beschäftigten nicht, was „Herr Křetínský“ wolle. „Will er mit uns Geld verdienen, oder will er an uns Geld verdienen?“ Man sei offen für gute Lösungen. „Doch billig verkaufen lassen wir uns nicht.“
10 Mrd. Dollar Vermögen
Křetínský, dessen Vermögen von Forbes auf rund 10 Mrd. Dollar geschätzt wird, ist allein über EPCG an Firmen mit 100 Mrd. Euro Umsatz beteiligt. Inklusive anderer Holdings tummelt er sich in den Branchen Energie, Handel und Medien. Die Holding EPH hatte 2016 die Lausitzer Braunkohlesparte von Vattenfall einschließlich Kraftwerken und Tagebauen übernommen. 2018 erwarb die Holding EP Global Commerce (EPGC), an der Křetínský 53% hält, rund 40% am Handelskonzern Metro. Křetínský besitzt Anteile an den französischen Handelskonzernen Casino (10%) und Fnac Darty (25%) sowie an den britischen Sainsbury-Supermärkten, und er greift nach der Royal Mail. In Tschechien und Frankreich hält er Medienbeteiligungen, darunter „Le Monde“, und er ist Miteigentümer der Fußballclubs Sparta Prag und West Ham United.
Neuerdings ist Křetínský dabei, International Distributions Services (IDS), die Mutter des Paketlieferanten Parcelforce, von der Börse zu nehmen. „Wir wollen außerhalb des Energiesektors diversifizieren“, sagte Křetínský der Nachrichtenagentur Bloomberg. Der Schwerpunkt der Royal Mail habe sich „vom traditionellen Briefgeschäft nahezu ganz auf das hart umkämpfte Paketgeschäft verlagert“, und das Unternehmen müsse dieser veränderten Realität Rechnung tragen.
Auch um die Rettung des hoch verschuldeten einstigen französischen Vorzeige-IT-Konzerns Atos buhlt Křetínský. Der französische Staat ist davon nicht gerade begeistert, da Atos unter anderem die IT für Panzer und Kampfflugzeuge liefert sowie die Software für die Simulation von Atomtests. Doch die Atos-Gläubiger würden Křetínský allemal den Vorzug vor der Insolvenz geben.
Braunkohle als Startkapital
Wenige könnten im Detail erklären, wie Křetínský zum Milliardär geworden ist. Aber ein bedeutender Wendepunkt war sicher 2016 die Übernahme der ostdeutschen Vattenfall-Braunkohle samt Tagebau und Kraftwerken für einen symbolischen Betrag. Das eröffnete ihm den Zugriff auf Rückstellungen für die Renaturierung von 1 Mrd. Euro. Dieses Geld scheint der Nukleus für das Imperium aus Minderheitsbeteiligungen gewesen zu sein. Křetínský erscheint wie ein Hansdampf in allen Gassen. Er ist kein Restrukturierungsexperte und kein Industriefachmann. Eher ein Financial Engineer, der Opportunitäten nutzt, wenn sie sich gerade eröffnen. In der Schuldenkrise vieler Unternehmen scheinen sich immer mehr dieser Gelegenheiten zu bieten.