Deutscher Professor nimmt für Google schon mal die Hand vom Lenker
Von Stefan Paravicini, FrankfurtDas selbstfahrende, vernetzte Fahrzeug ist der Star auf der 66. Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt. “Technologische Führerschaft definiert sich nicht mehr nur über PS und Drehmoment”, sagt deshalb VW-Chef Martin Winterkorn. Die digitale Transformation ist auch bei Daimler in vollem Gange, sagt CEO Dieter Zetsche. “Wir sind kein Automobilhersteller mehr”, erklärte der Daimler-Chef an der IAA.Was die Herren antreibt, sind nicht zuletzt Technologiekonzerne wie Apple oder Google, deren Pläne für das selbstfahrende Fahrzeug Gestalt annehmen. Zwar spricht Audi-Chef Rupert Stadler mit Blick auf den selbstfahrenden Prototyp “James” von Google an der IAA gar nicht erst von einem Auto, sondern von einer “kleinen Fahrzeugeinheit” und Philipp Justus, Google-Chef für den deutschsprachigen Raum und Osteuropa, versichert, dass Google trotz der erstmaligen Präsenz an der IAA weder ein Automobilhersteller sei, noch entsprechende Pläne für die Zukunft habe. Doch das Unternehmen verfügt heute nicht nur über Navigationssoftware, sondern auch über die Erfahrung von Millionen von Testkilometern mit autonom gesteuerten Fahrzeugen. Wettrennen durch die WüsteEntscheidenden Anteil daran hat Sebastian Thrun. Der aus Solingen stammende Computerwissenschafter, der 1995 sein Doktorat in Informatik und Statistik an der Universität Bonn summa cum laude abschloss, später dem Ruf als Associate Professor an die Carnegie Mellon University nach Pittsburgh, Pennsylvania folgte und seit 2003 an der Stanford University im Silicon Valley lehrt und forscht, war ab 2007 der führende Kopf hinter Google Street View und später hinter dem Bau eines eigenen Roboterautos.Angeworben wurde Thrun von Google-Mitgründer und CEO Larry Page persönlich. Die beiden hatten sich 2005 im Rahmen eines vom US-Verteidigungsministeriums ausgeschriebenen Wettrennens getroffen, bei dem selbstfahrende Autos knapp 200 Kilometer in der Mojave-Wüste im Nordwesten der USA zurücklegen mussten. Der VW Tuareg, den Thrun mit einem Team des von ihm geleiteten Stanford Artificial Intelligence Laboratory (SAIL) für das Rennen umgebaut hatte, schaffte die Strecke in weniger als sieben Stunden und ging als Sieger durchs Ziel.2007 lud die Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) erneut zu einer Wettfahrt, dieses Mal allerdings im Stadtverkehr. Der Volkswagen aus Stanford beendete das Rennen auf Platz 2. Die Bilder, die die auf dem Fahrzeug montierten Kameras während der Fahrt lieferten, brachten Thrun indessen auf ganz neue Ideen. Larry Page fand die damit verbundenen Möglichkeiten ebenfalls interessant, lockte Thrun zu Google und beauftragte ihn im Wesentlichen damit, die Welt zu fotografieren. Mit Google Street View schuf Thrun in der Folge die bis dahin größte Foto-Datenbank, mit der sich Google-Nutzer via Internet von fast allen Ecken der Erde ein Bild machen konnten.Für den heute 48-jährigen Experten für Robotik und künstliche Intelligenz, der zum ersten Mal 1994 für internationales Aufsehen in der Szene sorgte, als er mit einem eigenen Roboter erfolgreich an einem Wettbewerb der Association for the Advancement of Artificial Intelligence in Seattle teilnahm, stand schnell fest, dass Street View noch für andere Zwecke als Sightseeing auf dem Bildschirm nützlich sein könnte. Google entschied sich für den Bau eines selbstfahrenden Automobils, das Informationen aus Street View zur Navigation nutzen konnte und legte das Projekt in seine Hände.Thrun stellte ein Team von Ingenieuren zusammen und kaufte ein Start-up aus Berkeley, 510 Systems, das an einem selbstfahrenden Toyota Prius arbeitete. Wenig später war eine Flotte Prius, ausgestattet mit Navigationssoftware von Google, in der Bay Area unterwegs und sammelte eifrig Testmeilen. “Heute”, sagt Thrun, “kann ich glücklich und stolz sagen, dass Googles Autos bessere Fahrer sind als ich.” Vorlesungen im InternetDass Google als Herausforderer der Automobilindustrie ernst zu nehmen ist, hat der Konzern gerade mit der Berufung von John Krafcik, dem ehemaligen Chef von Hyundai in den USA, unterstrichen. Der 53-Jährige, der vor seiner Tätigkeit für den südkoreanischen Autobauer 14 Jahre für Ford tätig war, zeichnet als erster CEO für die selbstfahrenden Autos von Google verantwortlich, während der bisherige Projektleiter Chris Urmson, der 2005 bereits zum Team von Thrun am SAIL gehörte, die technologische Leitung behält.Thrun hat sich derweil anderen Schwerpunkten verschrieben. Neben seiner Forschungstätigkeit in Stanford gründete er 2011 Udacity, die erste gewinnorientierte Plattform für sogenannte “Massive Open Online Courses”, nachdem sich für seine Vorlesung zur “Einführung in die Künstliche Intelligenz” mehr als 160 000 Studenten interessiert hatten. Er ist seit dem vergangenen Jahr Mitglied des Verwaltungsrats von Credit Suisse und dort im Risk Committee vertreten. Er ist unter anderem Mitglied im Board der Robotics Science and Systems Foundation und seit 2007 Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina. Die renommierte US-Zeitschrift “Foreign Policy” führte Thrun 2012 in der Liste der “100 einflussreichsten Denker” auf Platz 4.