„Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“
„Die Kleinen hängt man,
die Großen lässt man laufen“
Von Jan Schrader, Frankfurt
Seit 2012 ermittelt Staatsanwältin Anne Brorhilker Cum-ex-Fälle. Nun aber wechselt sie überraschend zum Verein Bürgerbewegung Finanzwende.
Ihren Rücktritt als Cum-ex-Chefermittlerin nutzt Anne Brorhilker als Druckmittel: „Ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird“, sagt die Kölner Oberstaatsanwältin in einem Interview mit dem WDR am Montag, in dem sie ihre Beweggründe für ihren Abgang erläutert. Am Montag reichte Brorhilker bei der Generalstaatsanwaltschaft eine „Bitte um Entlassung aus dem Beamtenverhältnis“ ein, wie der Sender weiter berichtet. Das Interview kommt da zur rechten Zeit.
„Schwach aufgestellte Justiz“
Die Politik habe keinen Schwerpunkt auf Cum-ex-Verfahren gelegt und in der Ermittlung von Finanzkriminalität fehle oft eine zentrale Zuständigkeit, beklagt sie. Während mutmaßliche Täter aus der Finanzbranche oft über viel Geld und gute Kontakte verfügten, sei die Justiz schwach aufgestellt. Werde ein Verfahren gegen eine Geldbuße eingestellt, leide das Vertrauen in den Rechtsstaat. „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“, sagte die 50-jährige Ermittlerin.
Bereits seit 2012 ermittelt die Staatsanwältin Cum-ex-Fälle. Mittlerweile führt sie eine Hauptabteilung, die gegen mehr als 1.700 Beschuldigte ermittelt. Künftig will sie im Namen einer Nichtregierungsorganisation gegen Finanzkriminalität vorgehen: Der Verein Bürgerbewegung Finanzwende kündigte am Montag an, Brorhilker steige als Geschäftsführerin ein. Die Expertin habe sich beim Verein beworben, wie Gründer und Vorstand Gerhard Schick am Montag in einer schriftlichen Erklärung festhielt. „Angesichts der großen Erfolge ihrer Arbeit als Staatsanwältin hätte ich das nie erwartet.“
Ziele bislang unscharf
Die Ziele, die der Verein unter Brorhilkers Führung verfolgen soll, sind bisher vage: Die Justiz müsse besser für den Kampf gegen Finanzkriminalität aufgestellt werden, schreibt der Verband, eine Finanzlobby im Justizbereich müsse zurückgedrängt werden. Steuerbetrug in Millionenhöhe dürfe nicht sanfter behandelt werden als Sozialbetrug. „Der Wechsel von Anne Brorhilker zu Finanzwende ist eine Kampfansage an Finanzkriminelle und ihre Unterstützer“, sagt Schick, der früher für die Grünen im Bundestag saß. Bis die Staatsanwältin für den Verein anfängt, soll eine nicht näher definierte „Übergangszeit“ verstreichen.
Die hartnäckige Ermittlung verlieh Brorhilker viel Aufmerksamkeit – in der Politik hat ihre Haltung Gewicht. Im vergangenen Jahr plante der nordrhein-westfälische Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) zunächst, die Hauptabteilung der Kölner Staatsanwaltschaft, die Cum-ex-Fälle verfolgt, in zwei Abteilungen aufzuteilen. Nachdem die drohende Degradierung der Chefermittlerin Brorhilker für Wirbel gesorgt hatte, nahm er von den Plänen Abstand und versprach vier neue Stellen, womit die Hauptabteilung auf 40 Planstellen anwuchs. Limbachs Pläne hätten sie überrascht, sagt Brorhilker nun im Interview. „Ich habe es zunächst nicht als Unterstützung empfunden.“
Für „Rechtsstaat und Gerechtigkeit“
Immerhin zeigt sich der Verein Finanzwende mit dem Erreichten teilweise zufrieden: Brorhilker hinterlasse in Köln eine Staatsanwaltschaft, die für Cum-ex-Ermittlungen gut aufgestellt sei, erklärt Schick. „In den vergangenen Jahren ist aber klar geworden, dass das Problem der mangelnden Verfolgung der Cum-ex-Geschäfte nicht von einer Person und nicht allein von Köln aus gelöst werden kann.“ Für Brorhilker gibt es derweil Vorschusslorbeeren. Schick: „Anne Brorhilker geht es um die Sache, um den Rechtsstaat und Gerechtigkeit.“