Die New Yorker Börse verliert ihren IPO-Flüsterer
Die New Yorker Börse verliert ihren IPO-Flüsterer
Von Alex Wehnert, New York
John Tuttle gilt an der Wall Street als äußerst überzeugender Vertriebler. Der Vize-Verwaltungsratsvorsitzende der New York Stock Exchange (Nyse) hat in seiner Ägide zahlreiche Firmen von einem Listing bei dem traditionsreichen Marktbetreiber überzeugt. Dazu zählen auch die umstrittene, auf die Analyse großer Datenmengen spezialisierte Palantir Technologies oder der Cloud-basierte Software-Dienstleister Snowflake, für die der technologielastige Markt der Konkurrentin Nasdaq nach Ansicht vieler Marktteilnehmer die naheliegendere Heimat dargestellt hätte.
Vom Podium, auf dem Stargäste um Unternehmenschefs und Politiker wie Japans Premierminister Fumio Kishida die Nyse-Börsenglocke läuten, ist Tuttle für viele Investoren an der Wall Street kaum wegzudenken. Gerade während des Booms am Markt für Intitial Public Offerings (IPOs) und Börsengänge via Special Purpose Acquisition Companies (Spacs) in den Jahren 2020 und 2021 war der Manager dort zur Eröffnung an der Wall Street ständig aktiv.
Abgang nach Michigan
Ende Juli gab der Versicherungsbroker Acrisure allerdings bekannt, Tuttle als neuen Präsidenten gewonnen zu haben. Dieser zieht damit von New York nach Grand Rapids, Michigan, wo sein neuer Arbeitgeber ansässig ist – ab September soll er seine starken Beziehungen im US-Kapitalmarkt von dort aus anzapfen.
In der Vergangenheit spielte Acrisure-CEO Greg Williams öffentlich mit Gedanken an ein IPO seines stark gewachsenen Unternehmens, das inzwischen in 20 Märkten aktiv ist und im vergangenen Jahr einen Umsatz von 4,3 Mrd. Dollar erzielte und in den USA vor allem als Namenssponsor des Football-Stadions der Pittsburgh Steelers größere Bekanntheit erlangte. Auf einen Zeitplan für ein Börsendebüt legte sich Williams allerdings nicht fest – Stimmen an der Wall Street munkeln, dass Tuttle den Gang der Firma, die bei einer Finanzierungsrunde im Jahr 2022 mit 23 Mrd. Dollar bewertet wurde, aufs Parkett nun beschleunigen könnte.
Politisch stark vernetzt
Acrisure hebt indes die Vielseitigkeit des an der US-Privatuniversität Notre Dame ausgebildeten Managers hervor. Tuttle war seit seinem Antritt bei der Nyse im Jahr 2007 in nahezu allen Geschäftsbereichen der Börse aktiv, so war er als Leiter Corporate Affairs tätig und pflegte für die ehemalige Muttergesellschaft Nyse Euronext die Beziehungen zu Regierungen. Zuletzt war er auch Präsident des Nyse Institute, dem Ableger der Börse, der sich in Washington für die Interessen gelisteter Unternehmen einsetzt und als Stimme des Kapitalmarkts agiert. Tuttles politischen Kontakte stammen mitunter noch aus seiner Zeit im US-Außenministerium, für das er während der Regierungszeit von Präsident George W. Bush Staatsbesuche, zum Beispiel des damaligen britischen Premierministers Tony Blair oder des Dalai Lama, organisierte.
Senatskandidatur erwogen
Seine Rolle als führender IPO-Vertriebler gab Tuttle bereits 2022 ab, nachdem die Nyse mit Michael Harris einen neuen Kapitalmarktchef verpflichtete. Doch an seiner Position als Head of Listings hielt er fest und war damit weiter für die Beziehungen zu den 2.400 an der Börse notierten Unternehmen sowie Emittenten von Exchange Traded Funds zuständig.
Im vergangenen Jahr soll Tuttle mit Strategen der republikanischen Partei bereits Gespräche darüber geführt haben, als US-Senator für seinen Heimatstaat Michigan zu kandidieren und damit die Demokratin Debbie Stabenow zu ersetzen, die bei den Wahlen im November aus Altersgründen nicht mehr antreten will. Nun führt es den Manager also auf einem anderen Weg zurück nach Grand Rapids.