Chris Townsend

Ein Weltenbürger im Allianz-Firmenkunden­geschäft

Die Allianz arbeitet weiter an ihrer Struktur. Nun wird das Geschäft mit mittelgroßen Firmenkunden global gesteuert. Verantwortlich ist Chris Townsend.

Ein Weltenbürger im Allianz-Firmenkunden­geschäft

Von Michael Flämig, München

Die Allianz wird auch im Jahr 2022 wegen der Milliardenklagen in den USA rund um spezielle Fondskons­truktionen immer wieder in den Schlagzeilen sein. Für den langfristigen Erfolg des Versicherers sind jedoch andere Faktoren als das juristische Scharmützel ausschlaggebend – beispielsweise ein internationalerer Auftritt. Im SE-Vorstand verkörpert seit einem Jahr der Brite Chris Townsend diesen Weltbürger-Ansatz par excellence. Zum Aufgabengebiet des 53-Jährigen gehört es, das bislang volatile Firmenkundengeschäft zu einem Erfolgsfaktor zu machen.

Was erwartet die Allianz von Townsend, der am 1. Januar 2021 für drei Jahre berufen worden ist? Allianz-Aufsichtsratsvorsitzender Michael Diekmann begründete die Wahl in der vergangenen Hauptversammlung mit zwei Aspekten: „Wir wollen mit dieser Ernennung insbesondere die Kompetenz im Firmenkundengeschäft sowie in den angelsächsischen Maklermärkten stärken.“ Denn der Vorstand, der neu zur Allianz gestoßen sei, weise mehr als 30 Jahre Erfahrung im Versicherungsgeschäft auf.

Vielseitig und polyglott

Wenn der leidenschaftliche Hochseesegler und Skifahrer über seine Karriere berichtet, kommen tatsächlich einige Stationen zusammen. Er sei neunmal international umgezogen und habe in den letzten drei Jahrzehnten auf vier Kontinenten gearbeitet, rechnete die Allianz anlässlich seiner Berufung vor. Damit ist Townsend ähnlich polyglott und vielseitig wie einst Clement Booth, der von 2006 bis 2014 im Allianz-Vorstand mitgeholfen hatte, das Geschäft mit großen Firmen zu bündeln, – eine Aktion, die man als Blaupause für die Aufgabe von Townsend interpretieren kann.

Townsend war diese Weltläufigkeit nicht in die Wiege gelegt, wurde er doch in dem Dorf Lyndhurst geboren, das damals rund 1000 Einwohner zählte. Keine Elite-Universität und keine Berater-Combo ebnete ihm den Weg, sondern er lernte das Geschäft als Versicherungskaufmann (Chartered Insurer) von der Pike auf. Kaum 20 Jahre alt geworden, konnte er in den Beruf einsteigen und seiner Neugierde Nahrung geben. „Meine berufliche Laufbahn in der Versicherungsbranche habe ich in London als Underwriter begonnen“, erinnert sich der Manager. 1989 war er bei Aviva Junior-Kriminalitätsversicherer und bot Schutz gegen Betrug.

Er sei dann zehn Jahre im Underwriting und Portfolio-Management für AIG tätig gewesen, erläuterte der Brite den Aktionären bei der Allianz-Hauptversammlung 2021. London, New York und Sydney seien Einsatzorte gewesen. Für AIG Europe verantwortete er anschließend die Einheit für Fusionen und Übernahmen (2000 bis 2003). In den folgenden gut zwei Jahren leitete er das AIG-Industriegeschäft in Asien von Hongkong aus.

Als Lohn der erfolgreichen Arbeit folgte der Aufstieg zum Vorstandsvorsitzenden. „Zwischen 2006 und 2010 war ich CEO einer AIG-Tochtergesellschaft, der American Home Assurance Company, in Hongkong und Australien“, so Townsend. Von Singapur aus leitete er anschließend das Schaden- und Unfallversicherungsgeschäft der AIG für den asiatisch-pazifischen Raum (2010 bis 2012). Anschließend wechselte er zu Met Life und verantwortete in den nächsten fünf Jahren von Hongkong aus das Asiengeschäft – auch als Mitglied des Global Executive Committee. Damit nicht genug: „2018 kehrte ich zur AIG zurück und war als CEO für das internationale Versicherungsgeschäft der AIG außerhalb der USA zuständig.“ Für die Allianz führt er nun die Global Insurance Lines (AGCS und Euler Hermes), die Rückversicherung, die angelsächsischen Märkte (Vereinigtes Königreich, Irland und Australien) sowie den Mittleren Osten und Afrika.

Townsend, der verheiratet ist und sich selbst als stolzen Vater eines Sohnes und einer Tochter bezeichnet, dirigiert damit für die Allianz 35% der weltweiten Schaden- und Unfallversicherung. Dies entspricht einem Beitragsvolumen von rund 20 Mrd. Euro. „Damit sind wir einer der größten Firmenkundenversicherer“, er­klärte Townsend beim jüngsten Kapitalmarkttag des Versicherers. Die Allianz steht nach eigener Rechnung weltweit auf dem dritten Platz.

Das Townsend-Portfolio setzt sich aus vier Segmenten zusammen: dem Geschäft mit großen Firmenkunden, die mehr als 500 Mill. Euro Umsatz auf die Waage bringen, dem neu geschaffenen Segment der mittelgroßer Unternehmen sowie den kleineren Einheiten Kreditversicherung (Townsend: „Cooles globales Ge­schäft“) und Rückversicherung.

Während die Sanierung des Großkundengeschäfts unter AGCS-Chef Joachim Müller bereits vor der Ernennung von Townsend Fahrt aufnahm, ist die Bündelung des Ge­schäfts mit mittelgroßen Firmen am 1. Juli 2021 sein Projekt. Die Idee: Das Beitragsvolumen von 7 Mrd. Euro soll mit einem global gültigen Instrumentarium für die Preissetzung und das Risikomanagement angegangen werden – ähnlich wie es einst Booth für das Geschäft mit großen Firmenkunden tat.

Skalierung mit Gewinn

Der Umsatz mit mittelgroßen Firmenkunden wird zu 70% in Europa generiert. Deutschland liefere mit 1,7 Mrd. Euro den höchsten Anteil der 40 Länder, deren Portfolio man zusammenfasse, so Townsend. Ende 2022 werde es eine Datenplattform für das Geschäft geben. Eine gesellschaftsrechtliche Bündelung ist bisher nicht vorgesehen.

Das Ziel: die Schaden- und Kostenquote von geschätzt 97% im Jahr 2021 um 4 Prozentpunkte zu senken bis zum Jahr 2024. Die Allianz werde ihre Reichweite, die Marke, das Vertriebsnetzwerk und die globale IT-Plattform­ nutzen, so Townsend.

Ob die ersten Amtsjahre von Townsend erfolgreich sein werden, hängt damit wesentlich an diesem Segment. Denn der Manager möchte, dass sein Sachversicherungsportfolio den operativen Gewinn bis zum Jahr 2024 um 500 Mill. Euro erhöht. Während AGCS und Euler Hermes jeweils nur 100 Mill. Euro beitragen, soll das Geschäft mit mittelgroßen Firmenkunden ausgehend von voraussichtlich 720 Mill. im Jahr 2021 rund 300 Mill. Euro mehr abliefern.