Timur Turlov, Freedom Holding

Gründer, Konzernchef, Milliardär und Schach-Sponsor

Als Hauptsponsor der „World Rapid and Blitz Championships“ des Weltschachverbandes Fide durfte Timur Turlov – Gründer, CEO und Hauptaktionär des Finanzkonglomerats Freedom Holding – in einem kleinen Schauturnier u.a. gegen den Weltranglistenersten, den Norweger Magnus Carlsen, antreten.

Gründer, Konzernchef, Milliardär und Schach-Sponsor

Gründer, Konzernchef, Milliardär und Schach-Sponsor

Von Martin Dunzendorfer, New York

Timur Turlov, Gründer, CEO und Hauptaktionär des Finanzkonglomerats Freedom Holding, wirkt nicht wie der Chef eines an der Nasdaq gelisteten internationalen Konzerns und ein mehrfacher Milliardär. Im Gespräch mit der Börsen-Zeitung trägt der hochgewachsene, in Moskau geborene 37-Jährige, der 2022 seine russische Staatsbürgerschaft – und die des karibischen Inselstaates St. Kitts und Nevis – zugunsten der kasachischen aufgab, sehr lässige Freizeitkleidung und gibt sich gänzlich unprätentiös. Doch sein Lebensweg zeigt, dass er sich seinen Status mit viel Ehrgeiz, Zielstrebigkeit und einem Gespür für Trends – insbesondere für die Digitalisierung im Finanzsektor – erarbeitet hat.

Mit 21 Freedom Finance gestartet

Schon in jungen Jahren interessierte sich Turlov für die Finanzwelt. Mit gerade mal 16 Lenzen begann er 2003, in der Moskauer Filiale der US-Investmentfirma World Capital Investments (WCI) zu arbeiten. 2005 ging er zu einer Brokerage-Tochter der russischen Uniastrum Bank, wo er an der Entwicklung der Infrastruktur für den Handel an US-Börsen mitarbeitete. Auf Grundlage dieser Erfahrung gründete er 2008 im Alter von 21 Jahren Freedom Finance, eine Investmentgesellschaft, die sich auf den Zugang zu US-Börsen spezialisierte – ein Jahr, bevor Turlov 2009 sein Studium an der Universität in Kaluga (südwestlich von Moskau) mit einem Bachelor of Science in Wirtschaftswissenschaften und Management abschloss.

2011 zogen Turlov und seine Familie in die 2-Millionen-Metropole Almaty im Südosten Kasachstans; dort hat er mit seiner Frau und seinen sieben Kindern bis heute seinen Hauptwohnsitz. Zwei Jahre nach dem Umzug gründete er in seiner neuen Heimat die Freedom Finance JSC, die zu einem der führenden Brokerage-Häuser des Landes wurde. 2015 wurde die Freedom Holding Corp. gegründet, deren Hauptaktionär Turlov bis heute ist. Er nutzte die Marke, um die Einzelfirmen Freedom Finance Investment Company, Freedom Finance JSC und Freedom Finance Bank sowie die deutsche Tochter Freedom24 unter einem Dach zu vereinen.

Aktie seit dem IPO von 15 auf 135 Dollar gestiegen

Im Oktober 2019 wurde die Freedom Holding Corp. an der Nasdaq gelistet. Es war der erste Finanzkonzern aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) – in der sich Ende 1991 die meisten Nachfolgestaaten der Sowjetunion zusammengeschlossen hatten –, der an der Nasdaq notiert wurde. Zum Zeitpunkt des Börsengangs kostete die Aktie des Unternehmens weniger als 15 Dollar; derzeit gehen die Papiere zu 136 Dollar je Stück um. Allein im abgelaufenen Jahr stieg der Kurs um mehr als 60%. Die Marktkapitalisierung liegt bei 8,3 Mrd. Dollar.

Schwerpunkt in Zentralasien

Unter Turlovs Führung hat sich Freedom zu einer diversifizierten Finanzdienstleistungsgruppe mit Repräsentanzen in 22 Ländern entwickelt. Der Schwerpunkt der Freedom-Aktivitäten liegt in Zentralasien, insbesondere Kasachstan. Dort betreibt Freedom neben dem Hauptsitz in Almaty 15 Filialen, in der Ukraine gibt es 13 Niederlassungen, in Usbekistan acht und in Aserbaidschan, Armenien und Kirgisistan jeweils eine. Die deutsche Tochter, der Neobroker Freedom24, hat ihren Sitz in Berlin. Daneben ist Freedom z.B. noch in den Hauptstädten von Griechenland und Spanien vertreten.

Eine große Nummer in Kasachstan

In Kasachstan bieten unter dem Dach der Holding verschiedene Unternehmen ein breites Spektrum an Dienstleistungen an: die Freedom Bank Kazakhstan (die Privatkundenbank des Unternehmens), Börsenmaklerunternehmen wie Freedom Finance JSC und Freedom Finance Global, die firmeneigene Aktienhandelsplattform Tradernet, der E-Payment-Dienst Freedom Pay und Versicherer wie Freedom Life und Freedom Insurance. Doch auch finanzfremde Unternehmen wie der Telekommunikationsanbieter Freedom Telecom sowie Lifestyle-Dienste wie Arbuz.kz und Aviata, die in den Branchen Foodtech und Reisen tätig sind, gehören der Holding. Mehr als fünf Millionen Kunden in Kasachstan (Einwohnerzahl: ca. 20 Millionen) nutzen den Angaben zufolge die Dienstleistungen und Produkte der Freedom Holding.

In den vergangenen Jahren hat Freedom auch in den USA und Europa expandiert. 2020 wurde in den Vereinigten Staaten der Broker Prime Executions übernommen, was die Gründung und Lizenzierung von Freedom Capital Markets ermöglichte, dem in den USA ansässigen Investmentbanking-Geschäft des Unternehmens. 2023 wurde LD Micro gekauft, ein Veranstalter von Micro-Cap-Investorenkonferenzen und Datendienstleister. Der europäische Arm der Holding, Freedom Finance Europe, baut sein Geschäft ebenfalls aus. Das Unternehmen sei derzeit in zwölf europäischen Ländern tätig und betreue mehr als 250.000 Kunden. Umgekehrt hat sich die Freedom Holding im Oktober 2022 aus dem russischen Markt zurückgezogen; ein halbes Jahr nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine.

Turlov kontrolliert 69% der Aktien von Freedom Holding, was zurzeit einem Marktwert von 5,7 Mrd. Dollar entspricht. Dadurch taucht er regelmäßig auf der Forbes-Liste als einer der reichsten Menschen der Welt auf. 2024 wurde sein Vermögen auf 4 Mrd. Dollar geschätzt, was ihn laut Forbes zum 825. reichsten Menschen der Welt machte. Inzwischen dürfte er einige Plätze gutgemacht haben.

Neben seinen geschäftlichen Aktivitäten engagiert sich Turlov in sozialen Initiativen. So startete er Qalam – ein Projekt, das die Bedeutung und Beiträge der kasachischen und zentralasiatischen Kultur und ihre globale Relevanz verdeutlichen soll. Unter Führung Turlovs unterstützt die Freedom Holding auch Initiativen zur Rettung des Aralsees und andere ökologische Projekte.

Kosten von 10 bis 20 Mill. Dollar

Seit Januar 2023 ist Turlov Präsident des kasachischen Schachverbandes; in dieser Position treibt er u.a. die Förderung des Schachspiels in der Jugend des Landes voran. Doch auch auf der Profi-Ebene ist die Holding umtriebig. Vor kurzem trat sie z.B. als Hauptsponsor der „World Rapid and Blitz Championships“ des Weltschachverbandes Fide (Fédération Internationale des Échecs) in New York in Erscheinung. Die Kosten der Partnerschaft mit dem Weltschachverband beziffert Turlov auf 10 bis 20 Mill. Dollar pro Jahr. Das sei im Vergleich zum Sponsoring in anderen Sportarten, etwa Fußball, ein kleines Budget, sagte Turlov. Im Gegenzug werde die Bekanntheit der Marke Freedom global gesteigert, da sich viele Menschen für Schach interessierten. Parallel zur Schach-WM wurde von Freedom die Konferenz „The Wall Street Gambit“ organisiert. Ziel war es, Gemeinsamkeiten zwischen Schach und der Finanzwelt herauszuarbeiten. Gemäß Turlov gibt es drei Übereinstimmungen: Intelligenz, Strategie und die Kraft der Analyse.

Feste Regeln vs. permanente Dynamik

Vordergründig scheinen Schach und Finanzen zwei völlig unterschiedliche Welten zu sein, so Turlov. Schach ist ein intellektuelles Spiel, das von Brett, Figuren und strengen, jahrhundertealten Regeln bestimmt wird. In der Welt der Wirtschaft herrscht dagegen permanente Dynamik; Entscheidungen müssen inmitten ständiger Veränderungen und großer Unsicherheit getroffen werden. Beim Schach hängt alles allein vom Spieler ab, während die Wirtschaft ein Spiel voller unbekannter Variablen sei.

„Wenn wir jedoch genauer hinschauen, sehen wir, wie ähnlich die zugrundeliegenden Prinzipien sind“, so Turlov. Beim Schach muss jeder Zug analysiert werden; er hängt von der gewählten Strategie und der Bewertung einer Vielzahl von Risiken ab. „Die Entscheidungsfindung ist hier nicht nur eine Reaktion, sondern ein tiefes Verständnis der aktuellen Situation und die Vorwegnahme zukünftiger Möglichkeiten“, folgert der Freedom-Chef. In der Finanzwelt begegneten die Akteure dem gleichen Prinzip: Ein Investor analysiere den Markt, bewerte Risiken und treffe Entscheidungen, die auf langfristigen Erfolg ausgelegt seien.

In beiden Fällen seien sorgfältige Berechnung, Konzentration und Anpassungsfähigkeit an unerwartete Umstände unerlässlich. „Wenn Sie müde, in Eile oder einfach ohne Energie sind, werden Sie sowohl beim Schach als auch bei den Finanzen schlechte Entscheidungen treffen“, warnte Turlov.

Umgang mit Unsicherheit

Zudem gehe es sowohl im Schach als auch im Finanzwesen um den Umgang mit Unsicherheit. „Auf dem Schachbrett können Sie nicht vorhersagen, welche Taktik Ihr Gegner wählen wird, und im Finanzwesen ist es schwierig, Markttrends und Stimmungsschwankungen vorherzusehen.“ Herausragende Schachspieler und erfolgreiche Investoren zeichneten sich durch die Fähigkeit aus, mit Unsicherheit umzugehen und die besten Lösungen zu finden.

Auf einer Schachstärke-Skala von eins bis zehn eine „drei bis vier“

Seine eigene Spielstärke schätzt Turlov auf einer Skala von eins bis zehn bei „drei bis vier“ ein. Doch selbst wenn er es schaffe, seine Schwäche – anhaltende Konzentration – in den Griff zu kriegen, sei „fünf“ sein Limit nach oben.

Schließlich wies der Freedom-Chef noch auf eine meist unbeachtete Parallele zwischen Schach und Finanzwesen hin: die immer jünger werdenden Protagonisten. So ist der vor dem Jahreswechsel gekürte neue Schnellschach-Weltmeister, der Russe Wolodar Mursin, erst 18 Jahre alt, während die Schachkrone – also der WM-Titel im klassischen Schach – seinem indischen Altersgenossen Dommaraju Gukesh gehört. „Mit 12 bis 15 Jahren Großmeister zu werden, ist heute ganz normal“, sagte Turlov. „Ebenso verjüngt sich die Welt der Finanzen.“

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