Für Juve-Boss Andrea Agnelli wird es eng
Von Gerhard Bläske, Mailand
Mit dem Ende des Projekts zum Aufbau einer europäischen Super League steht nun wohl auch Andrea Agnelli (45), Chef des börsennotierten Fußballclubs Juventus Turin, vor dem Aus. Denn Agnelli war neben Real-Madrid-Boss Florentino Pérez Haupt-Drahtzieher des Vorhabens, das bei Fans und politischen Entscheidungsträgern auf einhellige Ablehnung stieß und für „Juve“ einen schweren Imageschaden bedeutet.
Zwar dementiert die Familienholding Exor, hinter der die Familien Elkann und Agnelli stehen, und die bei Juventus, oft „die alte Dame“ genannt, 64% der Anteile kontrolliert, die Ablösung Agnellis. Doch offenbar steht schon sein Cousin Alessandro Nasi bereit. Der 46-jährige Manager ist Vizepräsident der Holding Exor, die Großaktionär bei den Autokonzernen Stellantis und Ferrari sowie beim Landmaschinen- und Nutzfahrzeugkonzern CNH Industrial ist. Außerdem ist Nasi Präsident der Stellantis-Robotik-Tochter Comau. In der Vergangenheit bekleidete er Management-Posten bei Fiat Chrysler und CNH, lebte lange in New York und arbeitete auch für Merrill Lynch und J.P. Morgan. Er ist verheiratet mit dem tschechischen Model Alena Seredova, die vorher mit der Torwartlegende Gianluigi („Gigi“) Buffon liiert war. Seit kurzem ist Nasi Vater einer Tochter.
Andrea Agnelli ist der letzte männliche Vertreter der auf neun Familienzweige verteilten Familie, der den illustren Namen des Fiat-Mitgründers Giovanni Agnelli senior („il Senatore“) trägt. Er ist der Sohn des Gründerenkels Umberto und Neffe des legendären „Avvocato“ Gianni Agnelli. Er absolvierte die St. Clare’s International School in Oxford sowie die Mailänder Bocconi-Universität und arbeitete früher für Piaggio, Auchan und Ferrari. Agnelli hat auch einen Sitz im Verwaltungsrat von Stellantis.
Der Chefposten bei Juve, den er seit 2010 innehat, ist ihm immer eine Herzensangelegenheit gewesen. Die Mannschaft hat die letzten neun Meisterschaften in Folge gewonnen und stand 2015 und 2017 im Endspiel der Champions League. Agnelli war seit 2017 auch Vorsitzender der europäischen Clubvereinigung European Club Association (ECA), der er mit seinen Plänen in den Rücken fiel. Er ist inzwischen von dem Posten zurückgetreten, hat sich aber, anders als Club-Bosse etwa in England, nicht bei den Fans entschuldigt. Im Gegenteil: Er bleibe „von der Schönheit des Projekts überzeugt“.
Bei aller Kritik an Andrea Agnelli muss aber festgehalten werden, dass die Pläne für die Gründung einer Super League ohne die Zustimmung von Exor-Chef John Elkann, Cousin zweiten Grades von Andrea, und auch von Alessandro Nasi, kaum auf den Weg gebracht worden wären.
Im Hintergrund ging es natürlich um Geld. Denn anders als die anderen Investments von Exor bzw. der Familien Elkann-Agnelli ist das Investment bei Juventus, wo die Agnellis seit 1923 als Sponsoren dabei sind, ein gewaltiges Verlustgeschäft. Der Verein, der seit 2018 dem FTSE-MIB-Index angehört, hat im Geschäftsjahr 2019/20 (30.6.) einen Verlust von 69 Mill. Euro ausgewiesen und ist mit 369 Mill. Euro verschuldet. Die Hoffnungen, mit dem Kauf des alternden Superstars Cristiano Ronaldo für 105 Mill. Euro (2018) wieder europäische Titel zu holen, haben sich nicht erfüllt. In diesem Jahr war schon im Achtelfinale Schluss und in der Meisterschaft liegt die alte Tante abgeschlagen auf Platz 4 – selbst die Teilnahme an der Champions League ist gefährdet. Trainer Andrea Pirlo steht vor der Ablösung. Ronaldo kostet jedes Jahr 60 Mill. Euro, bringt aber trotz höherer Sponsor- und Werbeeinnahmen nicht den entsprechenden Ertrag.
Und auch an der Börse läuft es schlecht. Von den 1,54 Euro vom 12. April 2019 ist der Kurs weit entfernt und nach einem gewaltigen Kursanstieg am Montag auf 91 Euro-Cent brach das Papier in den letzten Tagen massiv auf zuletzt 76 Cent ein. Die Ergebnisse stimmen einfach nicht – und dafür ist nicht zuletzt Andrea Agnelli verantwortlich.
Selbst sein langjähriger Freund, Fifa-Präsident Aleksander Ceferin, Taufpate von Andrea Agnellis Tochter, hat sich von ihm abgewendet. „Andrea ist die größte Enttäuschung“, sagte der Funktionär. Agnelli hatte Ceferin noch am Tag vor Bekanntgabe der Pläne zur Gründung der Super League gesagt, da sei nichts dran.