Grammer fällt in eine Führungskrise
Von Stefan Kroneck, MünchenWenige Wochen nach der mehrheitlichen Übernahme durch den chinesischen Kooperationspartner Ningbo Jifeng ist der Autozulieferer Grammer in eine Führungskrise gestürzt. Auslöser ist der unerwartete Rücktritt des gesamten Vorstands. Am Montagabend nach Börsenschluss teilte das im bayerischen Amberg (Oberpfalz) sitzende Unternehmen mit, dass Konzernchef Hartmut Müller (55), Finanzvorstand Gérard Cordonnier (62) und der für die technischen Abläufe zuständige Manfred Pretscher (61) beabsichtigen, ihre Ämter niederzulegen.Sie begründeten ihren Schritt gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus Probst mit ihren “vertraglich bestehenden Kontrollwechselklauseln”, wie es das einstige SDax-Mitglied formulierte. Der 65 Jahre alte Chefaufseher muss nun rasch eine neue Führungsmannschaft suchen, um die entstandene Lücke zu schließen. “Der Aufsichtsrat (. . .) wird zügig die Neubesetzung der Positionen in die Wege leiten”, kündigte Grammer an. Klare EigentumsverhältnisseBis dahin sollen die drei Vorstände weiterhin für das Unternehmen tätig sein, “um einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten”. Nach “ihrem offiziellen Ausscheiden” stünden sie Grammer “beratend zur Verfügung”.Probst bedankte sich artig für die Tätigkeit des obersten Managements und drückte sein außerordentliches Bedauern aus, dass das Trio die Firma verlassen wolle. Grammer wies darauf hin, dass mit der “hohen Annahmequote” des Übernahmeangebots von Jifeng sich die Eigentumsverhältnisse in der Aktionärsstruktur deutlicher verschoben hätten als erwartet. Ende August teilte die Firma mit, dass das chinesische Familienunternehmen nunmehr 84,2 % des Grundkapitals halte (vgl. BZ vom 29. August). Der Jifeng-Mehrheitsaktionär, die Familie Wang, kündigte Ende Mai an, Grammer übernehmen zu wollen, um die Eigentümerstruktur des Unternehmens weiter zu stabilisieren (vgl. BZ vom 30. Mai). Chinesen ins Boot geholtIn einem Machtkampf mit dem aus Bosnien stammenden Unternehmerclan Hastor holte der Grammer-CEO im Februar 2017 die Chinesen ins Boot. Müller beabsichtigte damit, einen “kalten” Erwerb der Firma durch die Hastors abzuwehren. Mit dieser Strategie war er recht erfolgreich. Jifeng erhöhte ihre Beteiligung schrittweise auf 25,5 %. Mit dieser Sperrminorität konnte der neue Grammer-Großaktionär bereits sämtliche Avancen der Hastors, die 19,9 % auf sich vereinten, abschmettern.Im Zuge des Tauschangebots – Jifeng offerierte je Aktie 60 Euro in bar – zogen sich die Hastors aus dem Unternehmen zurück. Wie viele andere Anteilseigner nahmen sie das Angebot der Chinesen an. Zu Beginn der Umtauschfrist war sich allerdings die Familie Wang ihres Erfolgs nicht so recht sicher gewesen. Mitte Juli senkte sie die Mindestannahmeschwelle auf 36 % plus eine Aktie von ursprünglich 50 % plus eine Aktie (vgl. BZ vom 19. Juli). Müller und seine beiden Vorstandskollegen sowie der Aufsichtsrat unterstützten die Übernahmeofferte.Um die Akzeptanz gegenüber Share- und Stakeholdern zu erhöhen, verständigten sich die Unternehmensleitung und Jifeng auf eine Investorenvereinbarung. Darin machte der neue Mehrheitseigentümer umfangreiche Zugeständnisse hinsichtlich der Unternehmensführung, der Arbeitsplätze und der Börsennotierung. Die Chinesen ließen diese Punkte unangetastet, um die strategische Partnerschaft mit den Deutschen zu festigen. Grammer sah sich darin in ihrer “Unabhängigkeit” gesichert. Die Wangs betonten wiederholt, dass der Vorstand auch nach der Übernahme bleiben soll. Das erklärte Probst ebenso auf der zurückliegenden ordentlichen Hauptversammlung von Grammer im Juni am Konzernstammsitz (vgl. BZ vom 14. Juni). Insofern stellte man sich darauf ein, dass Müller, der CFO und der COO das Unternehmen weiter führen würden. So signalisierte der CEO im Sommer noch seine Absicht, bleiben zu wollen.Allerdings machten wohl viele – darunter Probst – die Rechnung ohne den Wirt. Die Wangs und der Aufsichtsratschef täuschten sich, glaubten sie wohl doch, dass der Vorstand in seiner bisherigen Zusammensetzung erhalten bleibt. Müller und seine beiden Kollegen machten nun überraschend von ihren Change-of-Control-Klauseln Gebrauch. Demnach können sie das Unternehmen verlassen, sollten sich die Eigentümerverhältnisse radikal wandeln.Bei Grammer ist dieser Fall eingetreten. Die Chinesen wollen zwei Vertreter in das Kontrollgremium entsenden. Solche Klauseln sind in Vorstandsverträgen seit Jahren üblich. Das Trio kann sich nun das Gehalt für die restliche Vertragslaufzeit auszahlen lassen und wird aufgrund der Klausel zusätzlich fürstlich entlohnt. Im vergangenen Jahr verdiente der CEO 1,38 Mill. Euro.Die Wangs ließen derweil mitteilen, den Rücktritt des Vorstands zur Kenntnis genommen zu haben. Sie drückten ihr Vertrauen gegenüber dem Aufsichtsrat aus, baldmöglichst Nachfolger zu finden. Die Chinesen wollen zwei Vertreter in das Kontrollgremium entsenden.Müller führt Grammer seit acht Jahren. Dem Vorstand gehört er seit elf Jahren an. Der Maschinenbauingenieur und Betriebswirt brachte das Unternehmen mitten in der Finanzmarktkrise und in der Rezession allmählich wieder auf Kurs. Er trieb die Internationalisierungsstrategie des Hauses voran. Allianz im AbwehrkampfAn der Spitze von Grammer schien er unangefochten, bis die Hastors vor zwei Jahren einstiegen. Die Familie aus Sarajevo, die den Autozulieferer Prevent kontrolliert, warf Müller vor, mit Grammer zu geringe Renditen zu erwirtschaften. Sie schmiedete den Plan, den Aufsichtsrat mit eigenen Leuten von Prevent zu besetzen, um den CEO danach zu entmachten. In dem Abwehrkampf bildeten die Verwaltung der Firma und der Betriebsrat des über 13 000 Mitarbeiter zählenden Konzerns eine unüberbrückbare Allianz.—– Wertberichtigt Seite 6