Haarsträubender Justizirrtum

IT-Skandal holt Parteichef Ed Davey ein

Eine Fernsehserie hat Aufmerksamkeit für die Opfer eines Justizirrtums geschaffen: die Aburteilung von Poststellenleitern, denen schadhafte Abrechnungssoftware zum Verhängnis wurde. Dem ehemaligen Postminister Ed Davey könnte das im Wahlkampf schaden.

IT-Skandal holt Parteichef Ed Davey ein

IT-Skandal holt Parteichef Ed Davey ein

Von Andreas Hippin, London

Der „Horizon“-IT-Skandal bei der britischen Post hat die Verantwortlichen eingeholt. Wie Scotland Yard bestätigte, wird wegen „möglicher Betrugsdelikte“ beim Umgang mit dem Debakel ermittelt. Dem Führer der Liberaldemokraten, Ed Davey, kommt das im herannahenden Wahlkampf ungelegen. Er fungierte als Postminister einer Koalitionsregierung mit den Tories, als schadhafte Abrechnungssoftware von Fujitsu eingeführt wurde. Auch Paula Vennells, die ehemalige Chefin der Poststellen-Betreibergesellschaft Post Office, steht plötzlich wieder im Rampenlicht.

"Astronomische" Kosten für die Steuerzahler

Zwischen 1999 und 2015 wurden mehr als 700 Poststellenleiter von Post Office wegen angeblichen Betrugs, Diebstahls oder Bilanzfälschung strafrechtlich verfolgt. Mindestens vier nahmen sich das Leben. Viele verloren ihre Existenz oder wurden zu Haftstrafen verurteilt. Einer der Betroffenen, Alan Bates, wandte sich der „Sunday Times“ zufolge wiederholt schriftlich an Davey. Er habe die Regierung zum Eingreifen aufgefordert und vor den „astronomischen“ Kosten gewarnt, die den Steuerzahlern aus dem Skandal entstehen könnten. Doch Bates wurde abgewimmelt. Bislang wurden Post Office zufolge lediglich 32,4 Mill. Pfund Entschädigung gezahlt.

Fernsehserie sorgt für Aufmerksamkeit

Seema Misra war schwanger, als sie ins Gefängnis musste. Angeblich hatte sie 75.000 Pfund unterschlagen. Vijay Parekh verbrachte sechs Monate unschuldig hinter Gittern und fand danach keine Arbeit, weil er vorbestraft war. Janet Skinner, eine Mutter von zwei Kindern, musste für neun Monate ins Gefängnis, weil angeblich 59.000 Pfund in der Kasse fehlten. Die Ausstrahlung der ITV-Fernsehserie „Mr Bates vs The Post Office“ sorgte diese Woche dafür, dass das Interesse der Öffentlichkeit an dem Thema wiederauflebte. Danach setzten sich 50 bislang nicht bekannte potenzielle Opfer mit Anwälten in Verbindung. Premierminister Rishi Sunak sprach von einem „schrecklichen Justizirrtum“.

"Wir sind in die Irre geführt worden"

Davey, der gerne anderen den Rücktritt empfiehlt, sieht sich nun selbst solchen Forderungen ausgesetzt. „Wir sind in die Irre geführt worden“, sagte er dem Sender Times Radio und schob der Post-Office-Führung die Verantwortung zu. Vennells, die von 2012 bis 2019 an der Spitze des Unternehmens stand, legte bereits ihre Ämter in den Boards von Dunhelm und WM Morrison Supermarkets sowie als Geistliche der anglikanischen Kirche nieder, als der Londoner Court of Appeal in einer richtungsweisenden Entscheidung im vergangenen Jahr 39 Poststellenleiter rehabilitierte.

Mehr als eine Million Unterschriften

Mittlerweile haben mehr als eine Million Menschen eine Petition unterschrieben, in der verlangt wird, ihr den Ehrentitel „Commander of the Order of the British Empire“ zu entziehen. Obwohl Probleme mit dem Horizon-System bekannt gewesen seien, habe das Management auf dessen Verlässlichkeit bestanden, stellte das Berufungsgericht 2023 fest. Wer sie in Frage stellte, sei wie mit einer Dampfwalze überrollt worden.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.