„Turbofan“ macht kräftig Wind
„Turbofan“ macht kräftig Wind
Von Andreas Hippin, London
Tufan Erginbilgic hat in der City in Anlehnung an eine Triebwerkstechnologie den Spitznamen „Turbofan“ erhalten, weil er bei einer ganzen Reihe von schwächelnden Geschäften eine schnelle Kehrtwende geschafft hat. Seit Anfang des Jahres führt er den britischen Technologiekonzern Rolls-Royce. Die Zustände dort verglich der BP-Veteran, der mehr als 20 Jahre seiner Karriere bei dem Ölkonzern verbracht hat, bei seinem Amtsantritt mit einer brennenden Ölplattform.
Erste Erfolge
Seitdem hat er ordentlich Wind gemacht, obwohl sein Vorgänger Warren East durch seine Vorarbeit die jüngsten Erfolge erst möglich gemacht hat. Im März gewann Erginbilgic Helen McCabe von BP als neue Finanzchefin. Im August trat sie ihr neues Amt an. Auch „Chief Transformation Officer“ Nicola Grady-Smith stammt von seinem alten Arbeitgeber. Schon im Juli, noch vor der Veröffentlichung der Halbjahreszahlen, konnte „Turbofan“ erste Ergebnisse melden: Das bereinigte operative Ergebnis war doppelt so hoch wie von Analysten im Schnitt erwartet. Noch größer fiel die Überraschung beim Free Cashflow aus. Das von ihm initiierte neue Transformationsprogramm habe gut angefangen, konstatierte Erginbilgic. Die Erholung des weltweiten Flugverkehrs dürfte einen wesentlichen Teil dazu beigetragen haben. Denn dadurch stiegen die Erlöse aus der Triebwerkswartung, die während der Pandemie, wie ein Großteil der Verkehrsflugzeuge weltweit, am Boden geblieben waren.
City wartet auf mittelfristige Ziele
Am Dienstag lädt die FTSE-100-Gesellschaft zum Kapitalmarkttag. Analysten erwarten, dass das Management nicht nur ein Update zur Unternehmensstrategie vorlegen wird, sondern auch Kostensenkungsziele für alle Geschäftsbereiche. Auch mittelfristige Finanzziele würden gerne gesehen. Der Deutsche-Bank-Analyst Christophe Menard erhofft sich eine „willkommene Revolution“. Nach seiner Rechnung ist bis 2028 eine Verbesserung des Betriebsergebnisses um mehr als 1,6 Mrd. Pfund wahrscheinlich. Die Zivilluftfahrtsparte, die nicht nur unter der Pandemie, sondern auch unter den langwierigen Problemen mit den Triebwerken vom Typ Trent 1000 zu leiden hatte, könnte 750 Mill. bis 800 Mill. Pfund dazu beitragen.
Mini-Atommeiler im Fokus
Erginbilgic hat bereits die Streichung von bis zu 2.500 Stellen angekündigt, um das Traditionsunternehmen „fit für die Zukunft“ zu machen. Insgesamt beschäftigt Rolls-Royce 42.000 Mitarbeiter, die Hälfte davon im Vereinigten Königreich. Der Elefant im Raum: Wie will sich das Unternehmen für Net Zero bereitmachen? Die Kraftwerkssparte hat Mini-Atommeiler in Modularbauweise (SMR, Small Modular Reactors) entwickelt und dafür bereits Investoren wie den US-Atomstromproduzenten Exelon Generation mit ins Boot geholt. Erginbilgic gilt als großer Fürsprecher der Technologie, die aus den Erfahrungen mit den Reaktoren britischer Atom-U-Boote hervorging. Die Regierung hat bereits einen dreistelligen Millionenbetrag für die Entwicklung der Technologie zur Verfügung gestellt. Allerdings stehen Rolls-Royce in der öffentlichen Ausschreibung für SMR Wettbewerber wie der französische Staatsbetrieb EDF und ein Gemeinschaftsunternehmen von General Electric und Hitachi gegenüber.
Vorgänger leistete gute Vorarbeit
Erginbilgics Vorgänger East hatte Rolls-Royce 2021 nach einem Milliardenverlust wieder in die Gewinnzone geführt. Als er im Juli 2015 vom Board zum CEO ernannt wurde, hoffte man in der City, dass er die schwerfälligen bürokratischen Strukturen des MTU-Rivalen runderneuern würde. Denn East kam aus einer Branche, in der ein anderes Tempo herrscht. Er war Chef des britischen Chipdesigners Arm. East entrümpelte zwar die Führungsetage. Doch trotz alledem war Rolls-Royce unter seiner Führung immer für eine negative Überraschung gut. Mächtige Bereichsfürsten gibt es offenbar immer noch. Mit Maßnahmen zur Eindämmung der Autonomie der Geschäftsbereiche ist zu rechnen.
Reichlich Industrieerfahrung
Die Erfahrung von Erginbilgic beschränkt sich nicht auf die Ölbranche, auch wenn seine Karriere einst bei Mobil Oil begann und nach sieben Jahren ihren Fortgang bei BP nahm. In den 23 Jahren dort hatte er zahlreiche Führungspositionen inne, unter anderem führte er das weltweite Schmierstoffgeschäft, dessen Gewinnbeitrag er vervierfachte. Der Absolvent der 1773 gegründeten Istanbul Technical University saß auch schon im Board mehrerer Industrieunternehmen wie GKN und DCC. Beim Lkw-Hersteller Iveco fungiert der britisch-türkische Doppelstaatsbürger immer noch als Non-Executive Director.
Er ist zudem Senior Adviser des New Yorker Finanzinvestors Global Infrastructure Partners, für den er bis Ende 2022 als Partner tätig war. Erginbilgic verfügt über einen MBA der Bosphorus University und einen Masterabschluss in Wirtschaftswissenschaften der Ohio State University.