Bundestagswahl

Grüne wollen mit Baerbock ins Kanzleramt

Annalena Baerbock (40) wird die Grünen als erste Kanzlerkandidatin der Partei und als bisher jüngste Bewerberin für das höchste deutsche Regierungsamt in den Bundestagswahlkampf 2021 führen. „Heute beginnt ein neues Kapitel für unsere Partei...

Grüne wollen mit Baerbock ins Kanzleramt

Von Stefan Paravicini, Berlin

Annalena Baerbock (40) wird die Grünen als erste Kanzlerkandidatin der Partei und als bisher jüngste Bewerberin für das höchste deutsche Regierungsamt in den Bundestagswahlkampf 2021 führen. „Heute beginnt ein neues Kapitel für unsere Partei und, wenn wir es gut machen, auch für unser Land“, sagte die Parteichefin, nachdem der Co-Vorsitzende Robert Habeck (51) die von dem Spitzenduo gemeinsam getroffene Entscheidung verkündet hatte. „Wir beide wollten es, aber am Ende kann es nur eine machen“, erklärte Habeck. Der Entscheidungsprozess sei emotional gewesen, räumte Baerbock ein. Beide hätten sich die Kanzlerkandidatur zugetraut und sie auch dem anderen zugetraut.

Man habe sich in teils schwierigen Gesprächen nicht geschont. „Aber weil es ein tiefes Vertrauen gibt, haben wir eine Entscheidung treffen können“, sagte die designierte Kanzlerkandidatin der Grünen, die noch vom Parteitag bestätigt werden muss, mit einem kleinen Seitenhieb auf die Unionsparteien, die gestern bereits Tag acht des nicht enden wollenden Showdowns zwischen CDU-Chef Armin Laschet und CSU-Chef Markus Söder verfolgten. Die Entscheidung zwischen ihr und Habeck sei vor Ostern gefallen, fügte Baerbock noch hinzu und dürfte bei dem einen oder anderen politischen Mitbewerber endgültig für ungläubiges Staunen gesorgt haben. So haben die Grünen die K-Frage nicht nur völlig geräuschlos gelöst, sondern das Ergebnis offenbar auch mehr als zwei Wochen für sich behalten.

Auch wenn die Entscheidung für Baerbock nur wenige politische Beobachter überraschen dürfte, ist der Aufstieg der Völkerrechtlerin, die in ihrer Jugend auf dem Trampolin Medaillen bei Deutschen Meisterschaften gewonnen hat, spektakulär. Denn noch vor drei Jahren, als sie sich zusammen mit Habeck für den Parteivorsitz bewarb, kannten außerhalb der Partei nicht viele ihren Namen. Nach dem Parteieintritt 2005 war sie ab 2008 Referentin für Außen- und Sicherheitspolitik der grünen Bundestagsfraktion. Ab 2009 hatte sie den Co-Vorsitz der Grünen in Brandenburg inne und 2013 zog sie als einzige grüne Abgeordnete aus Brandenburg in den Bundestag ein.

In den Verhandlungen zu einer möglichen Jamaika-Koalition mit CDU/CSU und FDP nach der Bundestagswahl 2017 erarbeitete Baerbock sich als Verhandlerin der Grünen zu Klimapolitik und Europathemen Respekt. Erfahrung in Regierungsämtern bringt sie anders als der Co-Parteivorsitzende Habeck, der in Schleswig-Holstein das Umweltministerium führte, nicht mit. „Ich habe große Demut und großen Respekt vor der Aufgabe, aber wenn Regierungserfahrung das einzige Kriterium wäre, könnten wir auch einfach mit der großen Koalition weitermachen“, sagt Baerbock dazu.

Habeck kündigte die Spitzenkandidatin als „kämpferische, fokussierte, willensstarke Frau“ an. Das passt zu den Beschreibungen von politischen Weggefährten, die sie als zielstrebige und gut vernetzte Politikerin beschreiben, die die Inhalte in den Vordergrund stelle. „Was alles nicht geht, haben wir in den vergangenen Jahren genug gehört. Was zählt ist jetzt, was geht“, sagte die erste Kanzlerkandidatin der Grünen. Es gehe darum, Dinge zu verändern, statt Versprechungen zu machen: „Jetzt ist die Zeit, in diesem Sinne eine gute Regierung anzuführen.“

Den Führungsanspruch haben die Grünen erst unter ihrem 2018 angetretenen Führungsduo gelernt. Denn seit mit Baerbock und Habeck zwei „Realos“ die Partei in die gleiche Richtung führen, sind die Umfragewerte in eine Richtung gelaufen. Während der ersten Infektionswelle in der anhaltenden Corona-Pandemie mussten zwar auch die Grünen der Stärke der Union Tribut zollen, die von den Erfolgen in der Bekämpfung der Pandemie profitierte. Zuletzt hat sich die Stimmung aber wieder gedreht, und die Grünen liegen in manchen Umfragen bundesweit schon auf Schlagdistanz zu CDU/CSU. Die Chancen für eine Regierungsbeteiligung sind groß, und zerfleischt sich die Union im Kampf um das Erbe von Bundeskanzlerin Angela Merkel ganz, könnten die Grünen ins Kanzleramt springen.

Mit Habeck in die Regierung

Baerbock wuchs in der Nähe von Hannover auf. Sie studierte in Hamburg und London Politikwissenschaften sowie Völkerrecht und dachte über eine Karriere als Kriegsreporterin nach, bevor ein Praktikum bei der grünen Europaabgeordneten Elisabeth Schroedter sie zur Politik brachte. Baerbock ist verheiratet und hat zwei Töchter. In den Wahlkampf will sie Seite an Seite mit dem zweiten Co-Vorsitzenden ziehen. „Dann werden Robert Habeck und ich gemeinsam in einer nächsten Bundesregierung auch eine entscheidende Rolle spielen“, sagte sie zu den Aussichten für den Fall eines Wahlsiegs der Grünen im September. Sollte es nur zur Junior-Rolle mit einem Kanzler der Union reichen, gelten in der Bundestagsfraktion der Grünen vor allem das Finanzministerium, das Verkehrsministerium sowie das für Energiethemen zuständige Wirtschaftsministerium als begehrt.