Italiens Notenbankchef geht bald

Ignazio Viscos letzter großer Auftritt

Italiens Notenbankchef Ignazio Visco hat den letzten Jahresbericht der Banca d`Italia vorgestellt. Im Oktober geht er nach zwölf Jahren an der Spitze in den Ruhestand. Ein Nachfolger steht noch nicht fest.

Ignazio Viscos letzter großer Auftritt

Ignazio Viscos letzter großer Auftritt

bl Mailand

Er war nicht immer über jeden Zweifel erhaben, aber nach der Vorstellung seines letzten Jahresberichts als Gouverneur der Banca d`Italia wurden Ignazio Visco allenthalben Lorbeerkränze geflochten. Nach zwei Amtszeiten und zwölf Jahren an der Spitze der Notenbank ist im Oktober Schluss für den 73-jährigen Wirtschaftswissenschaftler, der als Aktenfresser gilt. Wie praktisch alle italienischen Ökonomen ist er eine geldpolitische Taube. Visco plädiert für eine flexible Gestaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts, einen gemeinsamen europäischen Schuldentilgungsfonds und eine gemeinsame Schuldenaufnahme.

Trotz schwieriger geopolitischer Rahmenbedingungen verlässt er den Palazzo Koch, seinen Amtssitz, zu einem günstigen Zeitpunkt. Italiens Wirtschaft zeigt sich auch aufgrund des Europäischen Wiederaufbauprogramms und umfangreicher Staatshilfen resilienter als andere Volkswirtschaften und könnte 2023 um 1% wachsen. Die Banken, die in seiner Amtszeit eine starke Konsolidierung erlebt haben, sind stabiler denn je. Doch Visco legte in seiner letzten großen Rede auch den Finger in die Wunden des Landes: Die hohen Schulden, die dramatische demografische Entwicklung, die Probleme des Südens, die instabilen Beschäftigungsverhältnisse gerade junger Leute, die schwache Produktivität und die im internationalen Vergleich sehr niedrigen Löhne.

Er fordert einen Mindestlohn, den die Regierung ablehnt, einen entschlossenen Schuldenabbau, Reformen, Einwanderung zum Ausgleich des demografischen Defizits und die Nutzung des Europäischen Wiederaufbauprogramms: „Es darf keine Zeit verloren werden“, so der gebürtige Neapolitaner mit sardischer Mutter, der an der römischen Universität La Sapienza Wirtschaft studiert und an der Wharton School of Philadelphia promoviert hat.

Visco wurde 2011 von Silvio Berlusconi berufen. Der Vater von drei Kindern verbrachte fast sein ganzes Berufsleben bei der Banca d`Italia, war aber von 1997 bis 2002 Chefvolkswirt der Pariser OECD. Zu seinem Abschied war Italiens Bankenelite komplett erschienen. Auch Mario Draghi, dem er als dessen früherer stellvertretender Generaldirektor immer sehr verbunden war, saß im Plenum.

Visco verlässt die Bühne zu einem angesichts hoher Zinsen und Inflation, unsicherer Aussichten und Problemen der Regierung, klare Ziele für die Verwendung der Mittel des europäischen Aufbauprogramms zu formulieren, trotz momentan günstiger Daten auch in einer unsicheren Zeit. Der anerkannte Wissenschaftler, der gerade ein Buch veröffentlicht hat, in dem er sich mit dem Kampf verschiedener Regierungen und der Notenbank gegen die Inflation seit den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts beschäftigt, wird sich vermutlich wissenschaftlich beschäftigen.

Sein Nachfolger dürfte erst im Herbst ernannt werden. Im Gespräch sind das EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta sowie Daniele Franco, Ex-Generaldirektor der Banca d`Italia und unter Draghi bis Oktober 2022 Wirtschafts- und Finanzminister – mehr oder weniger alle aus dem gleichen Stall.

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