Schwierige Suche

Keiner will Boeing-CEO Calhoun beerben

Boeing ist auf der Suche nach einem neuen CEO. Der GE-Aviation-Chef hat schon mal abgesagt, aber eine Möglichkeit gäbe es noch – einen alten Bekannten.

Keiner will Boeing-CEO Calhoun beerben

Keiner will Boeing-CEO
Dave Calhoun beerben

lis Frankfurt
Von Lisa Schmelzer, Frankfurt

Es gibt derzeit in der Luftfahrtbranche vermutlich keinen schwierigeren Job als den des Boeing-Chefs. Flugzeugabstürze mit Hunderten Toten; Flieger, die Teile verlieren; Lieferkettenprobleme; Auseinandersetzungen mit den Luftfahrtbehörden und politischen Gremien; Ärger mit den Kunden wegen verspäteter Auslieferungen – die Liste der Schwierigkeiten, mit denen das Boeing-Management seit Jahren zu kämpfen hat, ließe sich beliebig fortsetzen. Kein Wunder also, dass es mehrere Kandidaten bereits abgelehnt haben, die Nachfolge des bisherigen CEO Dave Calhoun anzutreten. Dieser hatte im März angekündigt, Ende des Jahres zurücktreten zu wollen, nachdem die Kritik an ihm immer lauter geworden war. Da auch immer mehr Kritik an der Unternehmenskultur im Allgemeinen geübt wird, wird davon ausgegangen, dass der künftige Chef von außen kommen wird. Oder vielmehr kommen sollte, denn bei der Suche war man bisher alles andere als erfolgreich.

Die „perfekte“ Besetzung

Nach dem „perfekten“ Boeing-Chef gefragt, nennen Branchenkenner in der Regel einen Namen: Lawrence Culp. Der 61-Jährige hat in den vergangenen Jahren General Electric umgebaut, das Unternehmen in drei Sparten – Luft- und Raumfahrt, Energie und Gesundheit – aufgeteilt und führt nun als CEO und Chairman GE Aviation. Zuvor war das Industriekonglomerat von einer Krise in die nächste getaumelt, ähnlich wie Boeing jetzt. Culp, der zunächst wenig vom Luftfahrtgeschäft verstanden haben soll, hat sich schnell eingearbeitet und ebenso schnell Pläne aufgegeben, am Ende der Umbauarbeiten einen Luftfahrtexperten an die Spitze von GE Aviation zu setzen. Lieber macht er es selbst.

Culp war übrigens der erste von außen kommende Chef in der über 120-jährigen Geschichte des Unternehmens, der GE leitet. Shareholder Value ist für ihn zwar kein Fremdwort, aber auch nicht die allein selig machende Aufgabe eines CEO. Als eine seiner ersten Amtshandlungen hat Culp die Dividende auf 1 Cent gekürzt. Für Boeing wären all diese Eigenschaften tatsächlich der perfect fit, aber der Vater von drei Kindern soll dankend abgewinkt haben.

Sich ebenfalls nicht für den Spitzenposten beim US-Luftfahrtkonzern erwärmen kann David Gitlin. Der CEO und Chairman des Klima- und Energiegeräteherstellers Carrier Global sagte bereits im April, dass er den Vorstand von Boeing gebeten habe, ihn von der Liste der potenziellen Bewerber zu streichen. Gitlin sitzt seit 2022 im Board of Directors des Airbus-Konkurrenten. Das von ihm geführte Unternehmen Carrier Global ist in Deutschland Anfang des Jahres mit der Übernahme des Climate-Solutions-Geschäfts der Viessmann-Gruppe bekannt geworden. Carrier Global Corporation hatte sich 2020 von der United Technologies Corp. abgespalten.

Nähe zum Konzern als Nachteil

Bliebe noch Pat Shanahan. Er verbrachte drei Jahrzehnte bei Boeing, übernahm aber im vergangenen Jahr den Posten des CEO beim angeschlagenen Rumpflieferanten Spirit Aerosystems. Damit käme er nicht wirklich von außerhalb des Boeing-Kosmos, zumal Spirit bis vor wenigen Jahren zum Luftfahrtkonzern gehörte und nun wieder dort landen soll. Erschwerend kommt hinzu, dass die einstige Tochter als einer der Gründe für die Produktionsprobleme von Boeing gilt. Der ausgebildete Ingenieur Shanahan soll über den CEO-Posten verhandelt haben; während des Verkaufsprozesses wurden die Gespräche aber dem Vernehmen nach auf Eis gelegt.

In dieser verzwickten Lage zeichnen sich zwei mögliche Szenarien ab: Entweder man greift doch auf einen internen Kandidaten zurück. Dann hätte die Chefin der Verkehrsflugzeugsparte, Stephanie Pope, vermutlich gute Karten. Als wahrscheinlicher gilt aber, dass Boeing-Chairman Steven Mollenkopf den CEO-Posten selbst übergangsweise übernimmt, bis doch noch ein Kandidat von außen gefunden wird.

Die vergessene Option

Über einen möglichen Kandidaten für das Amt wurde im Übrigen noch kaum spekuliert: John Slattery. Der gebürtige Ire sollte schon einmal eine führende Position bei dem US-Luftfahrtkonzern übernehmen, als sich Boeing und die brasilianische Embraer näherkamen. Slattery führte damals die Verkehrsflugzeugsparte von Embraer. Aus den Boeing-Träumen wurde nichts, der Manager wechselte zu GE – und wurde dort von Culp ins Abseits geschoben. Nach seinem Abschied von GE vertreibt sich Slattery aktuell als Non-Executive Chairman beim schwedischen Hersteller von Elektroflugzeugen Heart Aerospace die Zeit – und wartet vermutlich auf einen Anruf von Boeing.

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