Lehner wirft bei Thyssenkrupp hin
Von Annette Becker, DüsseldorfDie Chaostage bei Thyssenkrupp finden kein Ende. Nur wenig mehr als eine Woche nach dem überraschenden Rücktritt von Konzernchef Dr. Heinrich Hiesinger macht es ihm der Aufsichtsratschef nach: Ulrich Lehner informierte den Vorstand des Unternehmens am Montag, dass er mit Wirkung zum 31. Juli sein Mandat als Vorsitzender niederlegen und aus dem Kontrollgremium ausscheiden werde, teilte Thyssenkrupp mit. Ähnlich wie Hiesinger begründete der 72-Jährige seine Entscheidung mit dem fehlenden gemeinsamen Verständnis über die strategische Ausrichtung: “Ich gehe diesen Schritt bewusst, um eine grundsätzliche Diskussion bei unseren Aktionären über die Zukunft von Thyssenkrupp zu ermöglichen”, wird Lehner, der auch den Aufsichtsrat der Deutschen Telekom führt, zitiert.Seine Entscheidung möge dazu beitragen, “das notwendige Bewusstsein bei allen Beteiligten zu schaffen, dass eine Zerschlagung des Unternehmens und der damit verbundene Verlust von vielen Arbeitsplätzen keine Option darstellt – weder im Sinne des Stifters noch im Sinne unseres Landes”, sagte Lehner. Schon in der Vorwoche war der einstige Henkel-Chef, der heute noch dem Gesellschafterausschuss des Familienkonzerns angehört, mit einem Zeitungsinterview aufgefallen, in dem er den im Aufsichtsrat vertretenen Finanzinvestor Cevian und den Hedgefonds Elliott des “Psychoterrors” bezichtigte. Allerdings dürfte Lehner mit seinen gestrigen Äußerungen auch auf die Krupp-Stiftung abgezielt haben, die sich erst am Freitag zum Konzern und der Belegschaft bekannt hatte. Die Stiftung sehe sich dem Stifterwillen verpflichtet, die Einheit des Unternehmens möglichst zu wahren, hatte es geheißen. An jenem Freitag hatte sich der Aufsichtsrat überdies einstimmig auf den bisherigen Finanzchef Guido Kerkhoff als Übergangschef verständigt. Kerkhoff sollte so lange CEO bleiben, bis der Findungsprozess für einen Hiesinger-Nachfolger abgeschlossen werde. Dieser Prozess wird sich nun zweifelsohne verzögern, auch wenn der Aufsichtsrat “über die Nachfolge von Dr. Ulrich Lehner als Vorsitzender des Aufsichtsrats kurzfristig Beschluss fassen” will. Lehner gehörte dem Aufsichtsrat von Thyssenkrupp seit 2008 an, zum 1. April 2013 hatte er als Vorsitzender die Nachfolge von Gerhard Cromme angetreten, der sich mit Stiftungschef Berthold Beitz überworfen hatte. Lehners Amtszeit wäre ebenso wie die von Hiesinger noch bis 2020 gelaufen. Vorstandschef Kerkhoff bedauerte den Rücktritt Lehners. Mit seiner ruhigen und verlässlichen Führung des Aufsichtsrats habe Lehner immer den Ausgleich zwischen Aktionärs- und Arbeitnehmerinteressen gefunden, wird der neue Thyssen-Chef zitiert. Auch in schwierigen Zeiten habe Lehner den Vorstand unterstützt und damit letztlich erst die Stahlfusion mit Tata Steel ermöglicht.