Linde holt Ingenieur Belloni aus dem Ruhestand
Von Walther Becker, FrankfurtVor einigen Jahren hatte Prof. Wolfgang Reitzle gesagt, er wünsche sich einen Belloni als Nachfolger – nur jünger. Jetzt wird der “Alte” der Neue: Mitten in der Führungskrise und vor den anstehenden Verhandlungen mit dem US-Rivalen Praxair über eine Fusion holt der Industriegasekonzern Linde mit Prof. Dr.-Ing. Aldo Belloni einen gestandenen Kämpen an die Spitze zurück. Der gebürtige Mailänder kennt Linde aus dem Effeff und dürfte auch auf der Arbeitnehmerbank gute Karten haben, die sich im ersten Anlauf gegen den Praxair-Deal stellte. Belloni hat ein Herz für den Anlagenbau, den einige inzwischen nur mehr als lästigen Appendix des Gasekonzerns betrachten. Belloni hatte das Engineering lange selbst geführt. Büchele geht sofortDoch M & A-Expertise? Immerhin fehlt auch noch der künftige CFO. Doch Corporate Finance “kann” der 67-jährige Reitzle. Belloni, der im Januar nächsten Jahres 67 wird, soll den Dax-Konzern zwei Jahre führen – bis dahin, so erwartet der Aufsichtsrat unter Reitzle, sollte der Zusammenschluss unter Dach und Fach sein. Und dann dürfte Praxair-CEO Stephen Angel die Topposition einnehmen. Indessen hat Dr. Wolfgang Büchele (57) dem Aufsichtsrat angeboten, sein Amt als Mitglied des Vorstands, CEO und Arbeitsdirektor sofort niederzulegen. Der Aufsichtsrat hat den Rücktritt von Büchele angenommen und Reitzles langjährigen, loyalen Mitstreiter Belloni bis Ende 2018 bestellt. Büchele ist Aufsichtsratschef von Merck.Der Paukenschlag kam in München nach dem Platzen des ersten Fusionsversuchs mit Praxair: Der umstrittene Finanzvorstand Georg Denoke, der als Gegner der Fusion galt, ging Mitte September mit sofortiger Wirkung. Seinen Posten übernahm bis zur Berufung eines Nachfolgers der Leiter der Finanzabteilung bei Linde, Sven Schneider. Der Vertrag von Büchele wurde nicht verlängert, er wollte Linde im April 2017 verlassen. Nun macht er früher den Platz frei. Einen Nachfolger für Thomas Blades als Nordamerika-Chef zu suchen, verkneift sich Linde mit Blick auf die Fusion mit dem US-Konzern.”Es gibt niemanden, der besser weiß als Aldo Belloni, wie entscheidend in unserer Branche Größe und Wettbewerbsfähigkeit für den langfristigen Erfolg sind”, kommentiert Reitzle. Der Aufsichtsrat habe “volles Vertrauen, dass er mit großem Sachverstand das nächste Kapitel unserer Unternehmensgeschichte in unserem Interesse mitgestalten wird”. Seit 1980 im KonzernMit 34 Jahren ist Belloni mehr als die Hälfte seines Lebens bisher für Linde tätig gewesen. 1980, in dem Jahr, in dem der promovierte Ingenieur in den damals in Wiesbaden domizilierenden Konzern eintrat, wurde Dr. rer. pol. Hans Meinhardt Vorstandschef. 20 Jahre später, als Belloni in den Vorstand aufrückte, leitete Gerhard Full die Führungsriege. Es folgten zehn mitunter sehr spannende Jahre mit Reitzle als CEO – inklusive der Übernahme des größeren britischen Rivalen BOC für 12 Mrd. Euro. Als Belloni Ende 2014 aus dem Gremium ausschied, ist Büchele ein gutes halbes Jahr Vorsitzender des 2008 nach München umgezogenen Dax-Konzerns gewesen.Belloni hatte zuletzt die größte operative Verantwortung in der damals vierköpfigen Führungsriege von Linde: Er war zuständig für das Industriegasegeschäft in Europa, im Mittleren Osten und in Afrika, verantwortete die On-Site-Aktivitäten, also die bei Kunden installierten Anlagen, und führte den gesamten Anlagenbau. Sein breites Aufgabengebiet wurde nach seinem Wechsel in den Ruhestand aufgeteilt: Dr.-Ing. Christian Bruch und Bernd Eulitz – “zwei halbe Bellonis”, wurde gewitzelt – übernahmen seine Aufgaben. Bruch verantwortet den Anlagenbau, Eulitz führt das Gasegeschäft in Europa.Belloni ist ein ausgewiesener Experte, der sein Know-how auch Laien verständlich machen kann und nach dem Wechsel in den Ruhestand Linde beratend verbunden blieb. Der gebürtige Mailänder studierte von 1968 bis 1973 am dortigen Polytechnikum Ingenieurwissenschaften und Chemie und promovierte. Vor seiner Zeit bei Linde war Belloni vier Jahre in Berlin als Prozessingenieur bei Krebs & Co. und davor zwei Jahre bei Oxon Italia tätig. Tieftemperatur-SpezialistBei Linde trat er 1980 als Vertriebsingenieur für Gasanlagen an. Vor seiner Vorstandstätigkeit war er Mitglied der Geschäftsleitung der damaligen Werksgruppe Verfahrenstechnik und Anlagenbau. Der verheiratete Vater zweier Kinder schaut gerne auf die Formel 1 und interessiert sich für Kunst und klassische Musik. Seit 2011 ist er Honorarprofessor für Tieftemperaturverfahrenstechnik an der TU Dresden.