Brasilien

Lula da Silva kehrt in die Politik zurück

Er brauchte keinen langen Anlauf. Nur zwei Tage nachdem er seine vollen politischen Rechte zurückbekam, stand Luiz Inácio Lula da Silva wieder auf der politischen Bühne. Am Sitz der Metall-Gewerkschaft in São Bernardo do Campo, der Industrievorstadt...

Lula da Silva kehrt in die Politik zurück

Andreas Fink, Buenos Aires

Er brauchte keinen langen Anlauf. Nur zwei Tage nachdem er seine vollen politischen Rechte zurückbekam, stand Luiz Inácio Lula da Silva wieder auf der politischen Bühne. Am Sitz der Metall-Gewerkschaft in São Bernardo do Campo, der Industrievorstadt im Süden von São Paulo, sprach er zu seinen Anhängern und zur Presse. In diesem Gebäude hatte er einst die Gewerkschaft geleitet. Und hier hatte er sich vor bald drei Jahren der Polizei gestellt. Neunzehn Monate musste er im Gefängnis verbringen. Als „Opfer der größten juristischen Lüge in fünf Jahrhunderten Landesgeschichte“, wie er nun zieh.

Zu Wochenanfang hatte Edson Fachin, der für den enormen Petrobras-Korruptionsskandal zuständige Richter am obersten Gerichtshof, entschieden, dass zwei Urteile gegen Brasiliens zweimaligen Präsidenten (2003–2010) nicht rechtmäßig zustande gekommen seien. Lulas Rolle in dem Kickback-Schema im halbstaatlichen Ölkonzern hätte nicht vom Richter Sergio Moro aus dem südlichen Curitiba untersucht werden dürfen, sondern von der Justiz in der Bundeshauptstadt Brasilia. Diese muss nun über eine mögliche Wiederaufnahme befinden. Aber: Auch wenn der Richter keine Einschätzung über Schuld oder Unschuld des Ex-Präsidenten traf, gab er Lula sämtliche aktive und passive politische Rechte zurück und stellte so Brasiliens politisches Tableau auf den Kopf.

Achtzehn Monate vor den nächsten Präsidentschaftswahlen hat Präsident Jair Bolsonaro nun den größten anzunehmenden Widersacher bekommen. Wiewohl Lula versicherte, in seinem Kopf habe er keinen Platz für Gedanken an eine Kandidatur im kommenden Jahr, ist klar: Es geht um eine politische Alternative zu Jair Bolsonaro. Um die Wiederbelebung der Arbeiterpartei PT, in deren Wählerstamm der Rechtspopulist mit der Zahlung von monatlichen Corona-Nothilfen zuletzt arg gewildert hatte.

Lulas Rückkehr kommt im wohl dramatischsten Moment der Landesgeschichte der letzten hundert Jahre. Alle 37 Sekunden erliegt derzeit ein Brasilianer den Folgen einer Corona-Infektion. In den großen Städten sind die Intensivstationen voll, viele Menschen ersticken unversorgt. In allen Teilen des fünftgrößten Flächenstaates der Welt hat sich die hochansteckende Variante P1 ausgebreitet, die auch Personen befällt, die bereits eine Covid-Erkrankung durchgemacht haben. Die WHO erklärte Brasilien zu einer Gefahr für den gesamten südamerikanischen Subkontinent und verlangte „entschiedene Maßnahmen“ von der Regierung. Doch Präsident Jair Bolsonaro weigert sich, einen nationalen Lockdown zu verhängen, er fürchtet wirtschaftliche Schäden. Vorige Woche verlangte er, seine Landsleute sollten „endlich aufhören zu flennen“. Nun hat der Präsident ein enormes Impfprogramm in der zweiten Jahreshälfte angekündigt. Das und die nach dreimonatiger Pause wieder aufgelegten Nothilfe-Zahlungen werden viel Geld kosten. Die anvisierte Erholung nach dem Corona-Einbruch 2020 wird 2021 kaum noch gelingen.

Auch wenn die Seuche im zweiten Halbjahr eingedämmt werden kann, dürfte es Bolsonaro im Wahlkampf schwer haben, sein erratisches Zickzack zum Erfolg zu erklären. Zu den bereits 270000 Corona-Toten dürften weitere Zigtausende dazukommen. Die Verantwortung dafür wird Bolsonaro schwer abwälzen können. Lula hingegen wird mit der Bilanz seiner acht Regierungsjahre punkten, in denen Brasilien – vor allem dank des chinesischen Rohstoffhungers – gewachsen war wie nie zuvor. Und er kann mit einigem Recht argumentieren, zum Opfer einer politisch motivierten Justiz geworden zu sein.

Zu den Verlierern des Richterspruchs gehören nun alle gemäßigten Präsidentschaftsanwärter vom konservativen São-Paulo-Gouverneur João Doria bis zum PT-kritischen Linken Ciro Gomes. Die Finanzmärkte haben ihre Begeisterung darüber bereits mitgeteilt. Kurz nach dem Richterspruch rutschten Aktien, Anleihen und die Landeswährung Real ab.