Hans Dieter Pötsch

Mann des Ausgleichs wird 70

Als Hans Dieter Pötsch im Oktober 2015 nach Bekanntwerden des Dieselskandals von Volkswagen die Aufgaben des Finanzvorstands aufgab, um den Aufsichtsratsvorsitz des Wolfsburger Konzerns zu übernehmen, erschien schwer vorstellbar, dass der...

Mann des Ausgleichs wird 70

Von Carsten Steevens, Hamburg

Als Hans Dieter Pötsch im Oktober 2015 nach Bekanntwerden des Dieselskandals von Volkswagen die Aufgaben des Finanzvorstands aufgab, um den Aufsichtsratsvorsitz des Wolfsburger Konzerns zu übernehmen, erschien schwer vorstellbar, dass der gebürtige Österreicher einmal vor der Frage stehen könnte, eine zweite Amtszeit anzutreten. Auch dem langjährigen CFO warfen Ermittlungsbehörden und Investoren vor, nicht rechtzeitig über die aus dem Bekanntwerden des Abgasskandals resultierenden Zahlungsverpflichtungen des Konzerns in Milliardenhöhe informiert zu haben.

Anklage vom Tisch

Um verloren gegangenes Vertrauen wiederherzustellen, forderten Anleger, den Aufsichtsratsvorsitz nicht mit dem seit 2003 amtierenden VW-Finanzchef, sondern mit einem Kandidaten von außen zu besetzen. Die Großaktionäre setzten sich über solche und andere Bedenken hinweg. Im Frühjahr vergangenen Jahres stellte das Landgericht Braunschweig das Verfahren wegen des Verdachts der Marktmanipulation gegen Pötsch und Konzernchef Herbert Diess, der im Juli 2015 zu VW gekommen war, mit Verweis auf eine nicht ausreichende Schwere der Schuld und gegen Zahlung von jeweils 4,5 Mill. Euro durch den Fahrzeugbauer an die Staatskasse ein. Von einem Freispruch zweiter Klasse war die Rede, doch eine mögliche Anklage kam vom Tisch.

Inzwischen wäre es eine große Überraschung, wenn der VW-Aufsichtsratsvorsitzende auch nach der kommenden Hauptversammlung nicht Hans Dieter Pötsch heißen würde. Sollte er dazu bereit sein und nominiert werden, dürfte die Bestätigung im Amt, das er seit Oktober 2015 bekleidet, Formsache sein. Darauf deutet neben der Tatsache, dass bislang kein Gegenkandidat sichtbar wurde, der große Zuspruch hin, den Pötsch von den maßgeblichen Aktionären des Zwölfmarkenkonzerns sowie von der Arbeitnehmerseite erhält.

„Mit hohem Einsatz und großem Verantwortungsbewusstsein hat Herr Pötsch einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass der Konzern viele Probleme gemeistert hat und sich auf einem guten Kurs befindet“, sagte Stephan Weil, als Ministerpräsident des mit 20% an VW beteiligten Landes Niedersachsen Mitglied im Aufsichtsrat, der Börsen-Zeitung. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann, ebenfalls Mitglied im Kontrollgremium, erklärte auf Anfrage, Pötsch genieße bei Anteilseignern wie Arbeitnehmern eine hohe Anerkennung. Seine integrative Rolle „war und ist für die Führung des Konzerns im schwierigen Umfeld enorm wichtig“. Als sicher gilt auch die Unterstützung von Pötsch durch den mit 17% an VW beteiligten Aktionär aus Katar.

Und die Eigentümerfamilien Porsche und Piëch, die über die Porsche Automobil Holding SE Stimmrechtsanteile von 53,3% halten? Aufsichtsratsmitglied und Familiensprecher Wolfgang Porsche ließ sich unlängst im „Handelsblatt“ mit der Aussage zitieren, Pötsch sei ein ehrlicher Makler der unterschiedlichen Interessen des Volkswagen-Konzerns, ihm gehe es „grundsätzlich um die Sache, nicht um die eigene Person“. Dass er gemeinsam mit Aufsichtsrat und Vorstand die Transformation des Konzerns vorantreibe, habe ihm Achtung bei allen Stakeholdern verschafft, sagte Aufsichtsrat Hans-Michel Piëch, Sprecher des anderen Familienzweigs, der Zeitung.

Viel Anerkennung im Finanzmarkt und das Vertrauen der Eigentümerfamilien hatte sich Pötsch mit der Zusammenführung von Porsche und Volkswagen verschafft, die den Familien nach der gescheiterten Porsche-Attacke unter Führung des damaligen Chefs Wendelin Wiedeking 2009 die Mehrheit an Volkswagen sicherte. Pötsch, der 2009 auch Finanzvorstand und 2015 zudem Vorstandschef der Holding wurde, trug maßgeblich dazu bei, dass die damals hoch verschuldete Porsche SE entschuldet und ein stabiler Ankeraktionär von VW wurde.

Dass er dabei und später auch als Aufsichtsratschef von VW bei schwierigen Lagen nicht das Licht der Öffentlichkeit suchte, sondern sich im Hintergrund als Mann des Ausgleichs besonnen um Lösungen bemühte, dürfte ihn für viele für eine weitere Amtszeit als Chef des Kontrollgremiums bei VW qualifizieren. Mit seiner Erfahrung und Eigenschaften wie Pragmatismus und Unauf­geregtheit, die ihm aus dem Kreis der Eigentümerfamilien bescheinigt wurden, erscheint Pötsch als sachverständiger Aufsichtsratsvorsitzender im Unternehmen und im Umfeld derzeit offenbar unentbehrlich.

Zukunft im Aufsichtsrat offen

Pötsch, der Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Darmstadt studierte und nach beruflichen Stationen bei BMW, Trumpf sowie als Vorstandschef bei Traub und Dürr vor 18 Jahren zu VW kam, lehnt eine öffentliche Aussage, ob er denn für eine weitere Amtszeit als Aufsichtsratschef zur Verfügung stehe, ab. Er wolle nichts präjudizieren, die Entscheidung träfen die Aktionäre, sagt er im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Anzeichen, dass der verheiratete Vater zweier erwachsener Kinder gerade jetzt aufhören könnte, wo der angestrebte Wandel des Autoherstellers zum softwaregetriebenen Mobilitätsdienstleister Fahrt aufnimmt und es auch auf einen Aufsichtsratsvorsitzenden ankommt, der dem Vorstand den Rücken freihält für die Transformation, lässt Pötsch freilich nicht erkennen. „Ich kann mich mit meinen Erfahrungen in diesem Prozess einbringen“, sagt er, um sich gleich zurückzunehmen: „Wir haben aber vor allem ein hervorragendes Team im Vorstand, wie auch unterhalb des Vorstands. Wir haben eine tolle Belegschaft.“ Trotz des Auf und Ab im Verlauf des vorigen Jahres sei es „großartig zu sehen, welche Motivation der Umbruch in der Belegschaft erzeugt“. Es sei an vielen Orten Aufbruchsstimmung zu spüren.

Als schwierigste Situation während seiner Zeit als Aufsichtsratschef bezeichnet Pötsch die Lage, die mit der Dieselkrise eintrat. Anfänglich sei eine existenziell bedrohliche Situation zu befürchten gewesen. Dass das Unternehmen diese Belastungen – von mittlerweile mehr als 32 Mrd. Euro – verarbeiten konnte und sich heute dennoch in einem robusten Zustand befinde, fähig, mit den künftigen Herausforderungen umzugehen und den Umbruch zu finanzieren, sei ein großer Erfolg. Und mit Blick auf die tiefgreifenden strukturellen Veränderungen in der Autoindustrie fügt er hinzu, was derzeit passiere, sei im positiven Sinne faszinierend. „Ich muss sagen, dass ich dankbar dafür bin, in dieser Zeit Aufsichtsratsvorsitzender von Volkswagen sein zu dürfen.“ Der Konzern habe „ein strategisches Konzept, das in die Zukunft führt, das die maßgeblichen Themen adressiert und das den Kapitalmarkt offenkundig zunehmend überzeugt“.

Der VW-Vorstand signalisierte derweil in einem Schreiben an Pötsch, davon auszugehen, dass man gemeinsam weiterhin die Weichen dafür stellen werde, „dass Volkswagen auch im emissionsfreien und digitalen Zeitalter ein erfolgreiches, respektiertes und noch wertvolleres Unternehmen sein wird“. Der Anlass für das Schreiben: der 70. Geburtstag des Aufsichtsratsvorsitzenden am kommenden Sonntag. Der Vorstand dankt Pötsch in dem Brief auch für eine „konstruktive und weitsichtige Leitung des Aufsichtsrats“, für „Expertise bei den Entscheidungsfindungen im vergangenen Jahr“ sowie für das „Vertrauen, das Sie in das Unternehmen und den Vorstand gesetzt haben“.