Markus Födisch führt den Wirecard-Prozess umsichtig
Markus Födisch führt Wirecard-Prozess umsichtig
Von Stefan Kroneck, München
Markus Födisch übt sich in Geduld. Wenn der Vorsitzende Richter der 4. Strafkammer des Landgerichts München I Zeugen und Angeklagte stundenlang befragt, macht er das in einer Mischung aus Bedachtsamkeit und Nachdruck. Das ist der Verhandlungsstil des 50-jährigen Juristen in einem der größten Wirtschaftsstrafprozesse der deutschen Rechtsgeschichte. Födisch leitet in seiner Funktion die Anfang Dezember 2022 begonnene Gerichtsverhandlung im Wirecard-Skandal in einem modernen, unterirdischen Anbau der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim.
Es geht um die juristische Aufarbeitung des umfangreichen Bilanzbetrugs bei dem früheren Zahlungsdienstleister, der Mitte 2020 zusammenbrach, als sich herausstellte, dass fast 2 Mrd. Euro auf sogenannten Treuhandkonten des einstigen Dax-Konzerns in Südostasien gar nicht existierten. Die Strafkammer muss ein Urteil darüber fällen, wer daran die Schuld trägt.
Mammutverfahren geht 2025 weiter
Für die neunköpfige Kammer – bestehend aus fünf Berufsrichtern und vier Schöffen (davon jeweils zwei als Ersatz) – ist die Wahrheitsfindung eine Kärrnerarbeit, handelt es sich doch um einen sehr komplexen Fall. Nach einer nunmehr 20-monatigen Beweisaufnahme zeichnet sich ab, dass der Mammutprozess auch 2025 fortgesetzt wird. Der Terminkalender ist zunächst bis Ende dieses Jahres voll. Födisch steht also noch einiges bevor, wenn nach der in der vorigen Woche begonnenen Sommerpause die Prozessbeteiligten am 19. August wieder zusammenkommen. Dann setzt der erfahrene Richter die Vernehmung des ehemaligen Konzernchefbuchhalters Stephan von Erffa fort. Das ist ein Schlüsselereignis in dem öffentlich ausgetragenen Verfahren, welches für ein großes mediales Interesse sorgt. Denn in der Person von Erffa äußert sich nun auch der dritte Angeklagte nach langem Schweigen zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft. Wie der Hauptangeklagte, Ex-Vorstandschef Markus Braun, weist er jede Schuld von sich und inszeniert sich als Opfer, während der Kronzeuge, Oliver Bellenhaus, der Ex-Konzernstatthalter in Dubai, sämtliche Taten gleich zu Prozessauftakt gestand.
Die Strafverfolger werfen dem Trio gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Untreue, Bilanzfälschung und Marktmanipulation vor. Sie sollen unter anderem die Drittpartneraktivitäten mittels umfangreicher Fälschungen jahrelang vorgetäuscht haben, mit dem Ziel, die Lage des Unternehmens nach außen besser erscheinen zu lassen, als diese tatsächlich war. Den Schaden für Gläubiger beziffert die Staatsanwaltschaft auf 3,2 Mrd. Euro.
An der bisher drei Tagen von Erffas Vernehmung verhielt sich Födisch wie zuvor professionell. Er hört den stundenlangen Ausführungen des Angeklagten konzentriert zu und hakt nach, wenn Erffa aus seiner Sicht Zusammenhänge verwischt und sich unklar ausdrückt. An seiner Reaktion lässt sich ablesen, dass Födisch dem Mitangeklagten wenig Glauben schenkt. Dafür offenbart Erffa zu viel Widersprüchliches, bei dem der Richter mit Nachdruck Fragen einwirft.
Angeklagter in Erklärungsnot
So konnte der Spross einer früheren Adelsfamilie mit Wurzeln in Thüringen nicht überzeugend darlegen, warum Wirecard jahrelang regelmäßig einige Tage vor den Terminen zur Vorlage von Quartalsberichten bereits Finanzeckdaten veröffentlichte, obwohl bis dahin die Zahlen der vermeintlichen Dritthandelspartner aus Asien noch gar in der Konzernbuchhaltung eingingen.
Vier Monate zuvor machte Födisch dem Angeklagten und dessen Anwälten deutlich, dass bei einem zeitnahen Geständnis eine Freiheitsstrafe zwischen sechs und acht Jahren in Betracht käme. Das lässt darauf schließen, dass die Beweislage aus Sicht des Richters erdrückend ist. Erffa ließ dieses Angebot des Gerichts verstreichen. Stattdessen redete er sich in seiner Einlassung um Kopf und Kragen. Die zuletzt erwartete Wende im Prozess in Form eines weiteren Schuldeingeständnisses blieb damit aus.
Für Födisch sind das Schlüsselmomente in dem Prozess. Allerlei Szenen machte er bereits durch bei bislang mehr als 150 befragten Zeugen und dem angeklagten Trio. Obgleich der Richter die Verhandlung weitgehend mit ruhiger Hand führt und dabei stets die Kontrolle über das Geschehen behält, kann er auch mal energisch werden, wenn er den Eindruck bekommt, dass jemand die Vernehmung nicht ganz ernst zu nehmen scheint.
Schlüsselmomente
So zum Beispiel Ende April. Seinerzeit rügte er den Ex-Finanzvorstand der Wirecard Bank, Rainer Wexeler, nach dessen bizarren Aussagen über eine fragwürdige Praxis bei der Abwicklung von Krediten an Adressen in Asien: „Was glauben Sie, was wir hier machen? Jetzt reißen Sie sich bitte zusammen! Das ist schon das dritte Mal, dass ich Ihnen das sage. Sie relativieren ständig. Ansonsten bekommen Sie richtigen Ärger!“
Aufgrund der Länge des Verfahrens dürfte dies nicht das erste und letzte Mal gewesen sein, dass Födisch in einem deutlichen Ton Personen während einer Befragung ermahnt. Seine Wortgefechte mit Brauns Rechtsbeistand Alfred Dierlamm, einem Meister der Showeffekte, in der Anfangsphase des Prozesses sind legendär. Dierlamm selbst legte Anfang Juni sein Mandat nieder, nachdem Brauns Versicherungen dessen Dienste nicht mehr bezahlen wollten. Seitdem geht es im Gerichtssaal spürbar unaufgeregter zu.
Födisch arbeitet seit 23 Jahren für die bayerische Justiz. Sein Schwerpunkt ist das Wirtschaftsstrafrecht. Bevor er vor vier Jahren zum Vorsitzenden Richter der 4. Strafkammer aufstieg, war er mehrere Jahre in gehobener Position bei der Münchner Staatsanwaltschaft in Steuerstrafverfahren, darunter der Cum-ex-Komplex, tätig. Födisch weiß also aus eigener Erfahrung sehr genau, welchen Arbeitsaufwand die Ermittler im Wirecard-Komplex betreiben, um den Dingen auf den Grund zu gehen.
Zuvor Staatsanwalt