Techkonzern

Meituan-Milliardär Wang auf poetischen Abwegen

Die Tang-Dynastie gilt als regelrechte Blütezeit in der chinesischen Kulturgeschichte, auf die man sich selbst in technophilen modernen Zeiten immer wieder gerne beruft. Der Chef und Mitgründer des chinesischen Techkonzerns Meituan, Wang Xing (42),...

Meituan-Milliardär Wang auf poetischen Abwegen

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Die Tang-Dynastie gilt als regelrechte Blütezeit in der chinesischen Kulturgeschichte, auf die man sich selbst in technophilen modernen Zeiten immer wieder gerne beruft. Der Chef und Mitgründer des chinesischen Techkonzerns Meituan, Wang Xing (42), hat entsprechenden kulturellen Feinsinn gezeigt und in einem Social-Media-Eintrag einen 1100 Jahre alten Gedichtvers aus der Tang-Dynastie weitergepostet. Nun ist dieser Reim in aller Anlegermunde, allerdings weniger wegen poetischer Bedeutungsschwere als der Schwere der Marktwertverluste bei Meituan.

Chinas drittgrößter Internetkonzern nach Tencent und Alibaba hat seit Wochenbeginn gut 12% an der Börse eingebüßt. Das bedeutet einen Marktwertverlust von rund 26 Mrd. Dollar und eine Vermögensminderung von 2,5 Mrd. Dollar für Wang, dessen persönliche Meituan-Beteiligung sich auf rund 11% des Kapitals erstreckt. Die Panikreaktion der Anleger hat in erster Linie damit zu tun, dass sich Wang mit der Gedichtverbreitung einen zwar subtilen und diskreten, aber nicht minder gefährlichen Kritikvorstoß gegen die allmächtige chinesische Regierung geleistet haben könnte. Dies in einer Zeit, da Peking mit einer weitschweifenden Antimonopol- und Regulierungskampagne einen ruppigen Umgang mit der heimischen Techbranche pflegt und dabei nicht zuletzt die Gründer führender Internetkonzerne auf dem Kieker hat.

So konnte man in den vergangenen Monaten die staatlich orchestrierte Demontage des Gründers der Techriesen Alibaba und Ant Group, Jack Ma, erleben, nachdem dieser Kritik an einer unpassenden Regulierung der Fintechbranche geübt hatte. Der Staat schlug umgehend zurück. Das IPO von Ant wurde abgesagt und Chinas führender Fintechkonzern zu einer drakonischen Restrukturierung verdonnert, unter der er noch lange laborieren wird.

Dem Vernehmen nach geht die Strafaktion gegen Ma und sein Imperium auf eine persönliche Intervention von Staatspräsident Xi Jinping zurück, dem die Popularität und Machtfülle heimischer Techbarone ein Ärgernis zu sein scheint. Jedenfalls geriet wenige Wochen später Alibaba in die Fänge der Monopolbehörde, die dem E-Commerce-Giganten wegen Marktmachtmissbrauchs eine Rekordstrafe von 2,8 Mrd. Dollar aufbrummte. Zuletzt wurde auch Meituan zum Gegenstand einer mit Alibaba vergleichbaren Kartelluntersuchung, die ebenfalls in einer hohen Strafe münden könnte.

Was in aller Welt aber hat dies mit Tang-Dynastie-Poesie zu tun? Nun, die Gedichtpassage ist eine Art mokierender Rückblick auf Verfehlungen eines früheren chinesischen Kaisers, der zur Unterdrückung ihm rebellisch erscheinender Intellektueller landesweit Bücher verbrennen ließ, dann aber zusehen musste, wie seine Dynastie nicht etwa von Intellektuellen, sondern ungebildeten Volksmassen beendet wurde.

Chinas Netzgemeinde spekulierte sofort, dass der Meituan-Chef mit dem Gedicht eine Art Analogie zu gegenwärtigen Herrschaftsstrukturen und dem Umgang des Staats mit der „Techintelligenzija“ herstellen wollte. Wang selber, der seinen So­cial-Media-Eintrag sogleich wieder löschte, versichert, er habe sich nur auf die Konkurrenzsituation in Chinas E-Commerce-Szene und dabei auf die Erkenntnis bezogen, dass die gefährlichsten Feinde nicht diejenigen seien, die man zunächst erwarte.

Vielleicht hat Wang nun eine Lektion gelernt – nämlich dass chinesische Techmilliardäre sich gegenwärtig aus jeder Form eines gesellschaftlichen Dialogs tunlichst heraushalten sollten. Dies nicht nur zum eigenen Schutz, sondern auch zu dem der geschätzten Anleger.