Milchbaron zieht es an die Börse
Von Helmut Kipp, FrankfurtEigentlich wollte Stefan Dürr Landwirt im Odenwald werden. Doch aus dem Plan, den Hof der Familie weiterzuführen, wurde nichts. Jetzt zieht es ihn an die Börse. Als junger Mann kam er 1989 nach Russland – damals war Michail Gorbatschow noch der starke Mann im Kreml – und fand dort seinen Platz. Der Praktikant stieg zum einflussreichen Berater auf und wurde Agrarunternehmer. Seine Ekoniva zählt zu den größten russischen Agrarbetrieben. Sie verfügt über 386 000 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche und 110 000 Rinder, davon 52 000 Milchkühe. Damit ist das Unternehmen größter Milchproduzent Russlands. Gesteuert wird die Gruppe über die deutsche Holding Ekosem-Agrar mit Sitz in Walldorf. Dürr gehören 43 % der Anteile, die restlichen 57 % liegen bei Managern, sonstigen Mitarbeitern und Investoren.Auch am Kapitalmarkt ist Dürr kein Unbekannter. Ekosem hat nämlich zwei Mittelstandsanleihen ausgegeben, die in Stuttgart gehandelt werden. Anleger machten mit den Bonds im Emissionsvolumen von 50 Mill. Euro bzw. 78 Mill. zeitweise schlechte Erfahrungen. Ekosem hätte die Anleihen zur vereinbarten Zeit wohl nicht zurückzahlen können. Daher wurde eine Verlängerung der Laufzeit um vier Jahre ausgehandelt, der die Gläubiger im März 2016 zustimmten. Nun nimmt Ekosem-Agrar den Aktienmarkt in den Blick. Den Aufgalopp macht die Umwandlung der GmbH in eine Aktiengesellschaft, deren Chief Executive Officer der 1964 in Eberbach am Neckar geborene Dürr ist. “Der Rechtsformwechsel wurde mit dem Ziel verabschiedet, die Flexibilität bei der künftigen Wachstumsfinanzierung zu erhöhen”, erläutert das Unternehmen. Das Management habe mit den Vorbereitungen für einen Börsengang begonnen. Allerdings sind auch andere Finanzierungsoptionen im Spiel. Zu Details eines möglichen IPO wie Zeitplan, Marktsegment oder geplante Emissionsstruktur halten sich Konzernsprecher bedeckt. Selbst auf die Frage, ob es in Deutschland, Russland oder anderswo an die Börse gehen soll, gibt es keine Festlegung. Kreditklauseln verletztAls klares Signal Richtung Börse kann man die Berufung von Wolfgang Bläsi zum Chief Financial Officer interpretieren. Er war bereits von 2011 bis 2016 Finanzvorstand der Ekosem-Gruppe. Der 1968 geborene Manager und Berater gilt als erfahrener Finanzexperte. Einige Investoren werden ihn aus seiner Zeit beim SAP-Beratungshaus Novasoft kennen, wo er den Börsengang vorbereitete und schließlich Finanzvorstand wurde, oder aus seiner eher kurzen Zeit bei dem Agrarkonzern KTG Agrar, der später insolvent wurde.Klar ist: Eine ordentliche Eigenkapitalspritze kann Ekosem gut gebrauchen, wie ein Blick in die Bilanz zeigt. Im kapitalintensiven Agrobusiness braucht man Geld, um zu expandieren. Und Ekosem wächst kräftig. So kletterte der Umsatz im vergangenen Jahr von 119 Mill. auf 175 Mill. Euro. Das hinterlässt Spuren. Ende 2017 erreichten die Verbindlichkeiten 778 Mill. Euro, 82 % der Bilanzsumme. Die Finanzschulden beliefen sich auf 554 Mill. Euro, das Achtfache des 2017 erwirtschafteten bereinigten Ergebnisses vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen. Auch das Nichteinhalten von Kreditklauseln signalisiert, dass die Finanzlage schwierig ist. Aus dem Geschäftsbericht geht hervor, dass die Gruppe Ende 2017 bestimmte Covenants gebrochen hat. Daher mussten längerfristige Verbindlichkeiten als kurzfristige Finanzschulden erfasst werden. Akute Turbulenzen sind dadurch offenbar nicht entstanden. Eine Firmensprecherin versichert jedenfalls, dass die russischen Banken die Kredite immer wieder verlängert hätten. Ein Börsengang, verbunden mit einer Kapitalerhöhung, würde Ekosem ohne Frage finanziell entlasten. Zumal 2021 der erste Bond und 2022 der zweite fällig wird. Darüber hinaus entstünde neuer Spielraum für die geplante Expansion in der Milchverarbeitung. Dabei kommt Ekosem zugute, dass Russland die einheimische Nahrungsmittelbranche fördert und infolge der westlichen Sanktionen unabhängiger von Lebensmittelimporten werden will.Dürr, der inzwischen die russische Staatsbürgerschaft hat, verfügt über beste Beziehungen in seiner neuen Heimat. 1994 rief der studierte Geoökologe, begleitet vom Bundeslandwirtschaftsministerium, den deutsch-russischen Agrarpolitischen Dialog ins Leben. Die Modernisierung der russischen Landwirtschaft in den vergangenen zwei Jahrzehnten hat er nach Unternehmensangaben “entscheidend mitgeprägt”. 1998 stieg er in den Landmaschinenhandel ein und erwarb 2002 seinen ersten Agrarbetrieb.