Milliardär Lutnick peilt nächsten großen Coup an
Milliardär Lutnick peilt nächsten großen Coup an
Von Alex Wehnert, New York
Howard Lutnick baute seine Trading-Firma Cantor Fitzgerald nach den Anschlägen vom 11. September neu auf.
Ein Milliardär ist selten Underdog – auf Howard Lutnick trifft die Bezeichnung aktuell aber zu. Denn der Chef der Trading-Firma Cantor Fitzgerald peilt seinen nächsten großen Coup an und nimmt es dabei mit Schwergewichten des US-Finanzmarkts auf. So sorgt ein Projekt für Aufsehen, mit dem der 62-Jährige die Vormachtstellung der weltgrößten Terminbörse CME im Markt für Zinsfutures brechen will: Zuletzt hat der Derivate-Regulator CFTC Lutnicks Pläne für den Start der FMX Futures Exchange abgesegnet.
Die Einheit der Cantor-Fitzgerald-Schwesterfirma BGC Group soll Mitte 2024 den Betrieb aufnehmen und den Handel mit Kontrakten auf Treasury-Renditen und die Secured Overnight Financing Rate (Sofr), die den Libor als Interbanken-Benchmark abgelöst hat, anbieten. Trader nutzen solche Futures, um sich gegen Schwankungen an den Zinsmärkten abzusichern und Wetten auf die Geldpolitik der Federal Reserve zu platzieren.
Über die CME kommen nach Daten des Branchenverbands Futures Industry Association mehr als 99% der Volumina bei Zinskontrakten in den USA zustande, das bedeutet tägliche Transaktionen im Billionenwert. Auch deshalb ist das Chicagoer Haus mit einer Marktkapitalisierung von nahezu 74 Mrd. Dollar der wertvollste Marktbetreiber der Welt – und liegt also sogar knapp vor der Intercontinental Exchange, zu deren Tochtergesellschaften mit der New York Stock Exchange die global führende Wertpapierbörse gehört.
CME-Chef Terrence Duffy zeigte sich bei einem Analystencall im Oktober angesprochen auf Lutnicks damals noch weniger konkrete FMX-Pläne kampfbereit. Tatsächlich rechnen Analysten Wettbewerbern nur geringe Chancen aus, dem Chicagoer Marktbetreiber ernsthaft gefährlich zu werden. An entsprechenden seien schon verschiedene Finanzdienstleister wie die alte Nyse Euronext gescheitert, auch für Lutnick ist es nicht der erste Versuch, ins Zinsfuture-Segment vorzustoßen. Seine 2009 gestartete Plattform ELX nahm nie wirklich Fahrt auf.
Als Grund für das Scheitern führt Lutnick an, dass die CME gegenüber der Konkurrenz einen zentralen Vorteil besitzt: Ihr eigenes Clearinghaus, das Besicherungen für große Institutionen hält sowie Trades über Verrechnung ausgleicht. Für Wettbewerber ist es schwierig, Investoren von neuen Clearing-Institutionen zu überzeugen. Denn der Anschluss an eine solche ist mit hohem Aufwand verbunden. Lutnick versucht das Problem zu umgehen, indem er FMX-Trades über die von der London Stock Exchange kontrollierten LCH, einem der weltgrößten Anbieter im Markt, verrechnen lässt. Zudem will er Investoren durch niedrigere Handelskosten von der CME weglocken.
Der auf Long Island geborene Milliardär besitzt Erfahrung darin, etablierte Strukturen im Finanzmarkt aufzubrechen. In den 1990er Jahren revolutionierte er den US-Bondhandel mit der Plattform eSpeed, über die Marktteilnehmer ihre Trades elektronisch arrangieren konnten. Somit trug Lutnick entscheidend zum Niedergang altmodischer Telefonbroker bei.
Seine Firma BGC Group verkaufte eSpeed 2013 an die Nasdaq. Doch der seit 1991 amtierende Cantor-Fitzgerald-Chef, den eine enge Mentoren-Protegé-Beziehung mit dem 1996 verstorbenen Firmengründer Bernard Gerald Cantor verband, ließ sich nicht lange aus dem Markt fernhalten. Bereits vier Jahre nach der Veräußerung von eSpeed – und damit unmittelbar nach Ablauf einer Wettbewerbsverbotsklausel – lancierte BGC mit Fenics UST eine neue Plattform für den elektronischen Treasury-Handel. Diese hat größeren Rivalen wie der CME-Tochter Brokertec seither Marktanteile abgenommen.
Zudem mischt Lutnick in weiteren vergleichsweise jungen Finanzmarktsegmenten wie Digital Assets mit. Cantor Fitzgerald verwaltet einen Großteil des Bondportfolios von Tether, deren Dollar-gekoppelter Stablecoin eine der wichtigsten Grundlagen für den Handel mit Kryptowährungen bildet. Lutnick, der kaum für seine Zurückhaltung bekannt ist, sagte der führenden Cyberdevise Bitcoin für 2024 eine Rally voraus. Die Euphorie um die Zulassung Spot-basierter Bitcoin ETFs und die verbundene Hoffnung auf großvolumige institutionelle Mittelzuflüsse in Digital Assets hat sich seit Mitte Januar aber wieder abgekühlt.
Ebenso wenig wie für seine Zurückhaltung ist Lutnick indes dafür bekannt, seine Überzeugungen schnell aufzugeben. Der 62-Jährige, der seine Mutter in jungen Jahren an Lymphdrüsenkrebs verlor und dessen Vater kurze Zeit darauf an einer versehentlichen Falschbehandlung bei einer Chemotherapie verstarb, gilt als Kämpfer. So baute er Cantor Fitzgerald, die im alten World Trade Center ansässig war, nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 neu auf. Damals starben 658 Mitarbeiter der Firma. Lutnick überlebte nur durch Zufall, weil er zu spät zur Arbeit kam. Die Erinnerung an jenen schicksalshaften Tag hat der Milliardär seither hochgehalten – und trotzdem nach vorn geschaut.