Nackenschlag für einen europäischen Brückenbauer
Von Andreas Heitker, Brüssel
Seit 1994 sitzt der Sauerländer Peter Liese im EU-Parlament. Aber dass das Plenum einen Bericht von ihm zu einem aktuellen Gesetzesvorhaben ablehnt – so etwas ist dem CDU-Politiker in diesen knapp 30 Jahren noch nicht passiert. Am Mittwoch hat Liese für seine Vorschläge für die geplante Reform des europäischen Emissionshandelssystems (ETS), über die monatelang verhandelt wurde, aber nur 265 Ja-Stimmen erhalten. 340 Abgeordnete lehnten in Straßburg Lieses Kompromisspapier dagegen ab. Im Umweltausschuss beginnen die Gespräche nun von vorn. Ergebnis offen.
Das Ergebnis war ein echter Nackenschlag für einen Abgeordneten, der sich selbst eigentlich als „Brückenbauer“ versteht und der in der aktuellen Legislaturperiode zu ganz großer Form im Europaparlament aufgelaufen war. Dies hatte zunächst viel mit Corona zu tun. Liese ist Arzt, hat in Marburg, Aachen und Bonn Medizin studiert und wurde zwei Jahre vor seiner ersten Wahl ins EU-Parlament zum „Dr. med.“ promoviert. Mit diesem Hintergrund stieg Liese zum Erklärbär für die Pandemie, die verschiedenen Virusvarianten und Impfstoffe auf – eine Art Karl Lauterbach auf Brüsseler Bühne. Über die Coronapolitik seiner Parteifreundin Ursula von der Leyen kam ihm dabei nur selten ein kritisches Wort über die Lippen.
Dass Liese auch nach Abflauen der Pandemie weiter zu den deutschen Europaabgeordneten gehört, die am stärksten im Fokus der Öffentlichkeit stehen, liegt daran, dass er nicht nur Gesundheits-, sondern auch Klimapolitiker ist. Der Katholik und Vater zweier Kinder ist der umweltpolitische Sprecher der Europäischen Volkspartei im Parlament, die immerhin die größte Fraktion stellt. Ende letzten Jahres hatten die PR-Agentur Burson Cohn & Wolfe (BCW) und das unabhängige Brüsseler Analysehaus Votewatch Europe eine Untersuchung über die aktuellen Machtverhältnisse im EU-Parlament veröffentlicht. Liese landete in der Klimapolitik als mächtigster Deutscher auf Platz 8.
Auch deshalb war der heute 57-Jährige im vergangenen Jahr zum federführenden Berichterstatter für die ETS-Reform auserkoren worden – einem der Herzstücke des großen EU-Klimapakets „Fit for 55“, das aber auch als äußerst umstritten gilt. Liese legte im Februar seine eigenen Vorschläge zur Reform und zur Gesetzesvorlage der EU-Kommission vor und war seither auf Kompromisssuche – die am Mittwoch für viele überraschend gescheitert ist.
Strittige ETS-Reform
Weder Lieses langjährige Erfahrung konnte dies verhindern noch seine Nachschärfungen der Kommissionsvorschläge an einigen Punkten oder seine grundsätzliche Offenheit gegenüber einem ambitionierten Klimaschutz. „Der Spiegel“ hatte vor eineinhalb Jahren einmal über Liese geschrieben, seine Vorschläge zu Emissionshandel und Klimaschutz seien nach Meinung mancher Wirtschaftspolitiker seiner Partei besser bei den Grünen aufgehoben.
Doch die Fronten waren zum Schluss zu verhärtet. Liese wollte unter anderem eine Senkung der CO2-Emissionen im ETS bis 2030 um 63% (im Vergleich zu 2005) mittragen, aber nicht um 67%, wie es der Umweltausschuss des Parlaments mit einer knappen Mehrheit beschlossen hatte. Die Belastungen der Wirtschaft seien zu groß, argumentierte er. Die EU-Kommission hatte nur eine Verschärfung auf 61% vorgeschlagen.
Die Ablehnung seines Berichts findet Liese „unanständig“ und sieht die Hauptschuld für sein Scheitern vor allem in einem internen Streit innerhalb der sozialdemokratischen Fraktion im Parlament. Diese sei zudem mit dem Zeitplan für die Einführung des CO2-Grenzausgleichmechanismus (CBAM) und dem Auslaufen der kostenlosen CO2-Zertifikate unzufrieden gewesen. „Das Europäische Parlament lehnt den von der fossilen Lobby und fossilen Allianz aufgeweichten Emissionshandel ab“, haut ihm dagegen der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss um die Ohren.
„Jede Woche praktisch eine Brücke bauen“, schreibt Liese auf seiner Webseite über seine politischen Ambitionen. Ob ihm dies im Falle ETS sowie der damit zusammenhängenden Entscheidungen zu CBAM und dem geplanten Klimasozialfonds im zweiten Versuch noch gelingt, ist noch längst nicht sicher.